Zurück in die Knechtschaft

Originalartikel aus der Jungen Welt vom 7. Oktober 2014

40 Jahre Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und ihre profitorientierte Zerstörung für und durch das westdeutsche Kapital

Von Vladimiro Giacché

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992) Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992)
Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Die Legende von einer 1989 – besser noch: seit jeher – »bank­rotten« ostdeutschen Volkswirtschaft ist heute ein Gemeinplatz geworden, nicht nur in Deutschland. Doch sie ist falsch. Die ökonomischen Schwierigkeiten der DDR machten aus ihr noch längst keine »marode Wirtschaft«, auch die in 40 Jahren erreichten Ergebnisse können sich sehen lassen. Trotz sehr schlechter Ausgangsbedingungen.
Die Geschichte der DDR beginnt mit einem vom Krieg weitenteils zerstörten Land. Anders als Westdeutschland fehlt es ihm an Rohstoffen, und es muss obendrein fast die gesamte Last der Kriegsreparationen tragen, die auf Beschluss der Siegermächte an die Sowjetunion zu entrichten sind. In D-Mark von 1953 gerechnet, betrugen die von der DDR bezahlten Reparationen 99,1 Milliarden, gegenüber 2,1 Milliarden, die die BRD aufbrachte. Ein Verhältnis also von 98 zu 2. Pro Einwohner berechnet, ist das Missverhältnis noch krasser: 130 zu 1. Der Bremer Professor Arno Peters ermittelte 1989, was die BRD an die DDR unter Berücksichtigung der Zinsen zu zahlen hätte: 727,1 Milliarden D-Mark.

Diese enorme Last hat die unzureichende Kapitalausstattung der DDR verschärft und so ihre Akkumulationsrate gesenkt. Ein anderes für die DDR ungünstiges Element war, bis 1961, die Abwanderung von zwei Millionen Menschen – etwa 20 Prozent der Arbeitskräfte – nach Westen. Alles in allem ungünstig war auch die Einbindung in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), der – mit Ausnahme der CSSR und der DDR selbst – aus Volkswirtschaften bestand, die hinter den westlichen zurücklagen und, vor allem, vom Weltmarkt abgeschnitten waren. Zu dieser Abschottung vom Weltmarkt hat die BRD nicht wenig beigetragen. Deren »Hallstein-Doktrin« sah den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Ländern vor, welche die DDR anerkannten. Schließlich war auch bis zuletzt das westliche Technologieembargo in Kraft, das die DDR zwang, viele Güter selbst herzustellen, die sie günstiger hätte einkaufen können. Die positiven Faktoren der Zugehörigkeit zum RGW waren der Zugang zum sowjetischen Markt, was für die Serienproduktion von Maschinen ideal war, und der Einkauf von Erdöl zu Preisen, die jahrelang unter denen des Weltmarkts lagen. Beides jedoch konnte jene negativen Seiten nicht ausgleichen.

Wirtschaftsstrategien der DDR

Das Wirtschaftssystem der DDR war anfangs gemäß dem sowjetischen Modell rigide zentralisiert. Ein solches System hatte in den ersten Jahren des Wiederaufbaus seine Vorzüge, aber eignete sich im Lauf der Zeit immer weniger für ein industriell entwickeltes Land wie die DDR. Vor allem hätten die Unternehmen größere Autonomie gebraucht, auch im Rahmen der Planwirtschaft. So kam es in den frühen 1960ern zum wichtigsten Versuch einer Wirtschaftsreform: Er wurde von Walter Ulbricht, damals Vorsitzender des Staatsrats der DDR, entschieden unterstützt. Das »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« sah die Einführung von Marktmechanismen und materielle Anreize für Unternehmen und Werktätige vor. Damit sollten die Interessen der Wirtschaftssubjekte mit denen des Systems in Einklang gebracht werden.

Diese Reform hat wichtige wirtschaftliche Ergebnisse gezeitigt: Von 1964 bis 1970 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Durchschnitt um jährlich fünf Prozent, und die Akkumulationsrate lag ab 1965 bei über 20 Prozent. Doch die Reform stieß auf zwei Hindernisse: Das System hätte sich auf objektive Kriterien für die Preisbildung stützen müssen (um Werte, Gewinne und Verluste berechnen zu können); doch die Preise wurden administrativ festgelegt und bildeten sich nicht durch Nachfrage und Angebot heraus. Daher waren sie kein zuverlässiger Maßstab. Das schwerwiegendere Problem war, dass unabhängige Entscheidungen der Wirtschaftseinheiten zu Lasten der zentralen Wirtschaftsleitung gehen mussten und die ganze Architektur des Systems in Frage stellten, einschließlich der führenden Rolle der Partei bei der Lenkung der Wirtschaft. Dies war die Klippe, an der der Reformversuch scheiterte – und mit ihm Ulbricht.

Mit Honecker kam es zu einem wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Seine Politik hatte drei Kernpunkte: Erstens die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«, die eine strikte Verbindung von Wirtschaftswachstum und Erhöhung der Einkommen vorsah. Zweitens die Betonung der Rolle der Arbeiterklasse als »führender Kraft der Gesellschaft«, woraus die Beseitigung der letzten Privatunternehmen abgeleitet wurde. Drittens ein großes Wohnungsbauprogramm. Der zweite Punkt war ein schwerer Fehler. Er hat die DDR-Wirtschaft um etwa 11.000 vitale Unternehmen beraubt und die zentrale Planung nur erschwert. Der erste und dritte Punkt waren ein ehrgeiziger Plan zur Verteilung des Reichtums, der teilweise verwirklicht wurde und nicht unbeträchtlich zum Wohlergehen der Bevölkerung beitrug. Der Preis dafür war aber hoch.

Es zeigten sich drei negative Erscheinungen: Erstens gingen der private Konsum und die Investitionen in den Wohnungsbau auf Kosten der Investitionen in die Industrie. So fiel der Anteil der Akkumulation am Volkseinkommen von 29 Prozent 1970 auf 21 im Jahr 1988, der der produktiven Akkumulation von 16 auf neun Prozent. Dies schlug sich in der Überalterung des Maschinenparks und in unzureichenden Investitionen in die Infrastruktur nieder. Da aber die Akkumulationsrate für das Wachstum wesentlich ist, wurden damit die für die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« nötigen Wachstumsraten beeinträchtigt.

Zweitens belasteten die Preissubventionen (die Preise waren für viele auch nicht notwendige Güter auf dem Niveau von 1944, in einigen Fällen sogar von 1936 eingefroren) den Staatshaushalt immer stärker. 1988 wurden für diese Leistungen 30 Prozent des Etats gebraucht. Die Subventionen konnten nicht mehr aus den Gewinnen der volkseigenen Unternehmen finanziert werden und zwangen den Staat zu wachsender Verschuldung. Daher erhöhten sich die Schulden in harter Währung, mit steigenden Ausgaben für die Zinsen, auch wegen der drastischen Erhöhung der Zinssätze infolge der restriktiven Geldpolitik der USA.

Die 1980er Jahre sind gekennzeichnet durch die Nichterfüllung der Pläne, durch zunehmenden Verschleiß der Industrieanlagen und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur, ins Gesundheitswesen und in den Umweltschutz. Doch die Wirtschaft der DDR wuchs weiterhin, wenn auch verlangsamt. Das Pro-Kopf-Einkommen Ende der 1980er lag leicht unter dem Großbritanniens und weit über dem Spaniens. Was die Exporte angeht (zu über 90 Prozent Industrieerzeugnisse), lag die DDR an 16. Stelle weltweit, an zehnter in Europa. Über die Hälfte des Volkseinkommens resultierte aus dem Export.

In den 1980ern lag die Industrieproduktion je Einwohner über der aller anderen Länder Osteuropas (sie war fast doppelt so hoch wie die Ungarns und mehr als doppelt so hoch wie die Polens). Die Sozialleistungen und sozialen Dienste waren überdies weit umfangreicher als im Westen. Neun von zehn Kindern im Vorschulalter besuchten Kinderkrippen und -gärten. Es gab Vollbeschäftigung, auch der Frauen: 92 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter hatten Arbeit. Der Schulbesuch war kostenlos und für alle garantiert.

Am 7. Oktober 1989 war die DDR das wirtschaftlich entwickeltste Land Osteuropas. Sie hatte eine Auslandsschuld von 20 Milliarden D-Mark (eine lächerlich geringe Summe, verglichen mit der heutigen Verschuldung der Staaten Europas, einschließlich Deutschlands), war aber alles andere als »pleite«, wie ständig behauptet wird.

900 Milliarden Mark

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992) Foto: Reuters

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992)
Foto: Reuters

Was nach diesem 7. Oktober geschehen ist, ist bekannt. Ablösung Honeckers, Fall der Mauer, die Märzwahlen 1990, die der Ost-CDU und ihren Verbündeten einen haushohen Sieg bescherten, die Währungsunion mit dem Westen im Juli und die politische im Oktober 1990.

Um die Entwicklung der Wirtschaft Ostdeutschlands in den letzten 25 Jahren zu verstehen, muss man von der Währungsunion ausgehen. Die wurde nicht nur ohne irgendeine Übergangsfrist vollzogen, sondern auch zu einem Umtauschkurs von eins zu eins für die laufenden Posten (während die übliche Rate eins zu 4,44 war). Der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl meinte Jahre später: »Das war eine Rosskur, die keine Wirtschaft aushält.« Tatsächlich verloren die DDR-Unternehmen mit der Währungsunion auf einen Schlag die Märkte der BRD und anderer Länder des Westens (weil die Preisvorteile des alten Wechselkurses wegfielen), die Märkte des Ostens, mit denen der Austausch jetzt in einer harten Währung (bei gleichzeitiger substantieller Preiserhöhung) erfolgen musste, und einen Großteil des Binnenmarktes, der von günstigeren Produkten aus Westdeutschland regelrecht überschwemmt wurde.

Und nicht nur das. Im Juli 1990 wurden die staatlichen Fabriken und Unternehmen der DDR unter Verwaltung der Treuhandanstalt gestellt. Ihre Privatisierung bekam absoluten Vorrang, auch vor der Sanierung. Zahllose Betriebe wurden liquidiert, und 87 Prozent der privatisierten kamen in westdeutsche Hände. Bestenfalls wurden die im Osten Filialbetriebe von Westkonzernen. Schlimmerenfalls werden sie gekauft und dichtgemacht, um Konkurrenten auszuschalten und um mit ihren Grundstücken und Immobilien zu spekulieren. Das Ergebnis war eine Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums von ungeheurem Ausmaß. Am 19. Oktober 1990 veranschlagte der damalige Präsident der Treuhand, Detlev Karsten Rohwedder, den Wert des zur Privatisierung anstehenden »ganzen Salats« auf 600 Milliarden DM; als die Treuhand Ende 1994 ihre Pforten schloss, wurde statt dessen ein Minus von 256 Milliarden angegeben: Werte von rund 900 Milliarden waren vernichtet worden.

Noch höher waren die sozialen Kosten. Nach amtlichen Schätzungen waren Ende 1989/Anfang 1990 in den dann unter die Kontrolle der Treuhand geratenen Unternehmen 4,1 Millionen Menschen beschäftigt. Ende 1994 waren davon nur noch 104.000 geblieben. Die Treuhand pries als einen großen Erfolg die von den Käufern der privatisierten Unternehmen versprochenen anderthalb Millionen Arbeitsplätze. Selbst wenn wir diese Zahl für bare Münze nehmen, heißt das, dass die Treuhand innerhalb von vier Jahren zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze vernichtet hat!

Schädliche Folgen für die Ostunternehmen hatte auch die Entscheidung, die durchlaufenden Posten zwischen Staat, staatlichen Banken und ebensolchen Unternehmen der DDR als regelrechte Kredite zu betrachten. Diese sogenannten Altschulden stellten eine weitere ungeheure Belastung für die beteiligten Unternehmen und ein phantastisches Geschenk für die Westbanken dar, welche die Ostbanken zu einem lächerlich niedrigen Preis (insgesamt 824 Millionen D-Mark) erworben hatten. Die »Altschulden« betrafen nicht nur die Industriebetriebe. Hinzuweisen ist auch auf die Kredite für das Wohnungswesen, über 20 Milliarden D-Mark, und für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) von rund acht Milliarden. Es verdient festgehalten zu werden, dass es ungeachtet ihrer anfangs unzureichenden Kapitalausstattung und dieser weiteren Belastung vielen Genossenschaften gelang durchzuhalten. Heute weisen sie wirtschaftliche Ergebnisse auf, die im Schnitt besser sind als die der landwirtschaftlichen Betriebe des Westens.

Eine weitere schwerwiegende Entscheidung mit negativen Folgen war der Grundsatz »Rückgabe vor Entschädigung«, demzufolge alle Eigentümer (von Grundstücken, Gebäuden oder Betrieben), die in den 40 Jahren der DDR enteignet worden waren, ein Recht auf den ehemaligen Besitz haben sollten. Daraus ergaben sich 2,17 Millionen Restitutionsfälle. Eine Maßnahme von derart schwerwiegenden Folgen ist ohne Beispiel, hat aber einen ganz einfachen Grund: 40 Jahre Geschichte sollten ausgelöscht werden. Und natürlich beginnend bei den Eigentumsverhältnissen.

Zusammenbruch und Stagnation

Die Folge der wirtschaftlichen »Vereinigung« für Ostdeutschland lässt sich in wenigen Zahlen darstellen: Binnen zweier Jahre, von 1989 bis 1991, ging das BIP um 44, die Industrieproduktion um 65 Prozent zurück. Offiziell (also registriert in den Arbeitsämtern) wurden 830.000 Menschen arbeitslos. Vor allem aber sank die Zahl der Beschäftigten um über zwei Millionen von 8,9 Millionen 1989 auf 6,8 Millionen 1991.

Der Einbruch des BIP, besonders 1990 und 1991, war gravierend. Kein einziges Land Osteuropas hat noch schlechter abgeschnitten. Und das gilt auch für die folgenden Jahre. Das mittlere jährliche Wachstum in den neuen Bundesländern von 1990 bis 2004 lag unter einem Prozent, weit niedriger als in den anderen ehemals sozialistischen Ländern. Dasselbe gilt auch für die nachfolgende Zeit, mit Ungarn als einziger Ausnahme.

Ebenso aussagekräftig ist der Vergleich zwischen dem BIP pro Kopf zwischen Ost- und Westdeutschland. 1989 betrug das BIP je Einwohner in der DDR 55 Prozent von dem der BRD, 1991 nur noch 33 Prozent. In den folgenden Jahren verkürzte sich der Abstand: 1995 sind wir bei 60 Prozent angelangt. Doch von da an verkleinerte sich die Kluft nur noch schwach. Noch 2009, also fast 20 Jahre nach der Vereinigung, betrug das BIP je Einwohner im Osten kaum mehr als zwei Drittel dessen der BRD. Betrachtet man den Beitrag Ostdeutschlands zum deutschen BIP insgesamt, so liegt dieser noch heute unter dem von 1989. Und nimmt ab: Er lag 1989 bei 11,6 Prozent, 2007 bei 11,5 Prozent, 2011 bei elf Prozent.

Zu den spektakulärsten Veränderungen, die sich in der ostdeutschen Wirtschaft nach der Währungsunion vollzogen, gehört die Entwicklung der Exporte. Diese brachen in nur zwei Jahren um 56 Prozent ein: von über 41,1 Milliarden DM 1989 auf gerade noch 17,9 Milliarden 1991. Mehr als halbiert hatten sich auch die Ausfuhren in die Länder Ostmitteleuropas, die zusammen mit der UdSSR zwei Drittel des DDR-Außenhandels ausmachten: in diesem Fall von 28,9 Milliarden 1989 auf 11,9 Milliarden 1991. Und 1994 fielen sie auf nur noch 16 Prozent des 1989 erreichten Niveaus. Der Einbruch ist so massiv, dass er sich auf den Gesamtwert der deutschen Ausfuhren nach Osteuropa auswirkt. Erst 1995 erreicht der deutsche Export dorthin praktisch wieder das Niveau von 1989: rund 61 Milliarden, gegenüber 61,4 Milliarden. Doch die ostdeutschen Exporte sind nun auf fünf Milliarden eingebrochen, und die ostdeutsche Ausfuhrquote wird fast vollständig vom Westen übernommen, der im selben Zeitraum seine Exporte von 31,8 Milliarden auf 56 Milliarden (auf 176 Prozent) steigert.
Auch die Deindustrialisierung vollzog sich äußerst schnell. Schon Ende 1991 produzierte die ostdeutsche Industrie wertmäßig nur noch ein Drittel dessen, was sie vor der »Wende« von 1989 erzeugt hatte.

Von Ende 1989 bis zum Frühjahr 1992 wurden 3,7 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet. Und von 1992 bis 2009 gingen weitere anderthalb Millionen verloren. Ein Teil davon wurde in Teilzeitarbeitsplätze und unterbezahlte Beschäftigung umgewandelt. Andere Betroffene mussten das Heer der Arbeitslosen verstärken. 2008 lebte in Ostdeutschland ein Sechstel der Bevölkerung Deutschlands – aber die Hälfte der Arbeitslosen. Einer Studie der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers zufolge, von der die Thüringer Allgemeine am 27. August 2014 berichtete, wird sich die Beschäftigtenzahl im Osten bis 2030 um weitere zehn Prozent verringern.

Von 1989 bis 2006 sind 4,1 Millionen Menschen aus Ostdeutschland abgewandert, doppelt so viele wie in den zehn Jahren vor dem Mauerbau 1961. Die gesamte zwischendeutsche Wanderungsbilanz (die also auch die vom Westen in den Osten gezogenen Personen enthält) liegt natürlich niedriger, bleibt aber beeindruckend: 1,74 Millionen Menschen, 10,5 Prozent der ostdeutschen Ausgangsbevölkerung.
Der Geburtenrückgang hat, zusammen mit der Abwanderung, zu einem Rückgang der Bevölkerung geführt, wie es ihn im Herzen Europas seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gab. Darauf hat 2003 der brandenburgische Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) hingewiesen.

Eine weiteres Phänomen fällt jedem auf, der die Länder der ehemaligen DDR besucht: die Entvölkerung der Städte, vor allem jener, die industrielle Zentren waren. Zu den Folgen zählt eine ungeheure Menge leerstehender Wohnungen. Sie wurde 2003 von Manfred Stolpe (SPD), damals Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, auf 1,3 Millionen geschätzt. Die Lösung? Die Bauten einfach abreißen. So wurde aus dem Aufbau Ost über den Abbau seiner Industrien der Rückbau Ost.
Und die berühmten Transferzahlungen nach Ostdeutschland? Dazu schrieb der französische Publizist Guillaume Duval: »Die staatlichen Transferzahlungen, über die sich die Westdeutschen so beklagen«, seien in Wirklichkeit »überwiegend an den Westen in Form von Gütern und Dienstleistungen zurückgeflossen«. Ostdeutschland ist so zu einem gestützten Wirtschaftsgebiet geworden, dessen Konsum, bezahlt mit Transfers der Steuerzahler, die Westunternehmen bereichert.

Tricks zum Verschleiern

Schon 2003 schrieb der neoliberale Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, dass »man die wirtschaftliche Vereinigung der beiden Landesteile als gescheitert ansehen kann«. Wer heute das Gegenteil »beweisen« möchte, muss zu statistischen Tricks greifen. Wie etwa dem, als Vergleichsjahr für die Berechnung verschiedener ökonomischer Indikatoren das Jahr 1991 zu nehmen, das Jahr des Tiefpunkts der ostdeutschen Wirtschaft: Auf diese Weise erscheint dann »ein Niveau, das unterhalb des DDR-Standes von 1989 liegt, noch als Verbesserung«, so der Ostdeutschlandforscher Ulrich Busch. Genau das hat jetzt, am 30. September, der Chefökonom der KfW-Bank, Jörg Zeuner, gemacht, um seine surreale Behauptung zu begründen: »Wir können heute über das zweite deutsche Wirtschaftswunder reden.«

Trotz aller Spielereien mit Zahlen und Wörtern fällt es schwer, die Dauerstagnation und die Kluft zum Westen zu verbergen. Einige Ökonomen schätzen, dass es noch mindestens 30 Jahre dauern wird, bis der Westen eingeholt ist, andere gehen von 100 Jahren aus. Die von der Regierung genannten Ziele nehmen sich recht bescheiden aus: Wenn von der Anpassung der Lebensverhältnisse die Rede ist, dient nicht mehr der Westdurchschnitt als Maßstab, sondern dessen strukturschwache Regionen, und um den Ostdurchschnitt zu heben, wird ganz Berlin zu den östlichen Bundesländern gerechnet.
»Der Osten wird auf absehbare Zeit den Anschluss an den Westen nicht schaffen«, meinte Joachim Ragnitz vom Dresdner Ifo-Institut am 4. Mai dieses Jahres in der Welt am Sonntag. Und dies ist der Preis, den die Bürgerinnen und Bürger des Ostens für den raschen politischen Anschluss der DDR an die BRD zu zahlen haben.

Aus dem Italienischen übersetzt von Hermann Kopp

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