Zurück in die Knechtschaft

Originalartikel aus der Jungen Welt vom 7. Oktober 2014

40 Jahre Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und ihre profitorientierte Zerstörung für und durch das westdeutsche Kapital

Von Vladimiro Giacché

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992) Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992)
Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Die Legende von einer 1989 – besser noch: seit jeher – »bank­rotten« ostdeutschen Volkswirtschaft ist heute ein Gemeinplatz geworden, nicht nur in Deutschland. Doch sie ist falsch. Die ökonomischen Schwierigkeiten der DDR machten aus ihr noch längst keine »marode Wirtschaft«, auch die in 40 Jahren erreichten Ergebnisse können sich sehen lassen. Trotz sehr schlechter Ausgangsbedingungen.
Die Geschichte der DDR beginnt mit einem vom Krieg weitenteils zerstörten Land. Anders als Westdeutschland fehlt es ihm an Rohstoffen, und es muss obendrein fast die gesamte Last der Kriegsreparationen tragen, die auf Beschluss der Siegermächte an die Sowjetunion zu entrichten sind. In D-Mark von 1953 gerechnet, betrugen die von der DDR bezahlten Reparationen 99,1 Milliarden, gegenüber 2,1 Milliarden, die die BRD aufbrachte. Ein Verhältnis also von 98 zu 2. Pro Einwohner berechnet, ist das Missverhältnis noch krasser: 130 zu 1. Der Bremer Professor Arno Peters ermittelte 1989, was die BRD an die DDR unter Berücksichtigung der Zinsen zu zahlen hätte: 727,1 Milliarden D-Mark.

Diese enorme Last hat die unzureichende Kapitalausstattung der DDR verschärft und so ihre Akkumulationsrate gesenkt. Ein anderes für die DDR ungünstiges Element war, bis 1961, die Abwanderung von zwei Millionen Menschen – etwa 20 Prozent der Arbeitskräfte – nach Westen. Alles in allem ungünstig war auch die Einbindung in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), der – mit Ausnahme der CSSR und der DDR selbst – aus Volkswirtschaften bestand, die hinter den westlichen zurücklagen und, vor allem, vom Weltmarkt abgeschnitten waren. Zu dieser Abschottung vom Weltmarkt hat die BRD nicht wenig beigetragen. Deren »Hallstein-Doktrin« sah den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Ländern vor, welche die DDR anerkannten. Schließlich war auch bis zuletzt das westliche Technologieembargo in Kraft, das die DDR zwang, viele Güter selbst herzustellen, die sie günstiger hätte einkaufen können. Die positiven Faktoren der Zugehörigkeit zum RGW waren der Zugang zum sowjetischen Markt, was für die Serienproduktion von Maschinen ideal war, und der Einkauf von Erdöl zu Preisen, die jahrelang unter denen des Weltmarkts lagen. Beides jedoch konnte jene negativen Seiten nicht ausgleichen.

Wirtschaftsstrategien der DDR

Das Wirtschaftssystem der DDR war anfangs gemäß dem sowjetischen Modell rigide zentralisiert. Ein solches System hatte in den ersten Jahren des Wiederaufbaus seine Vorzüge, aber eignete sich im Lauf der Zeit immer weniger für ein industriell entwickeltes Land wie die DDR. Vor allem hätten die Unternehmen größere Autonomie gebraucht, auch im Rahmen der Planwirtschaft. So kam es in den frühen 1960ern zum wichtigsten Versuch einer Wirtschaftsreform: Er wurde von Walter Ulbricht, damals Vorsitzender des Staatsrats der DDR, entschieden unterstützt. Das »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« sah die Einführung von Marktmechanismen und materielle Anreize für Unternehmen und Werktätige vor. Damit sollten die Interessen der Wirtschaftssubjekte mit denen des Systems in Einklang gebracht werden.

Diese Reform hat wichtige wirtschaftliche Ergebnisse gezeitigt: Von 1964 bis 1970 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Durchschnitt um jährlich fünf Prozent, und die Akkumulationsrate lag ab 1965 bei über 20 Prozent. Doch die Reform stieß auf zwei Hindernisse: Das System hätte sich auf objektive Kriterien für die Preisbildung stützen müssen (um Werte, Gewinne und Verluste berechnen zu können); doch die Preise wurden administrativ festgelegt und bildeten sich nicht durch Nachfrage und Angebot heraus. Daher waren sie kein zuverlässiger Maßstab. Das schwerwiegendere Problem war, dass unabhängige Entscheidungen der Wirtschaftseinheiten zu Lasten der zentralen Wirtschaftsleitung gehen mussten und die ganze Architektur des Systems in Frage stellten, einschließlich der führenden Rolle der Partei bei der Lenkung der Wirtschaft. Dies war die Klippe, an der der Reformversuch scheiterte – und mit ihm Ulbricht.

Mit Honecker kam es zu einem wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Seine Politik hatte drei Kernpunkte: Erstens die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«, die eine strikte Verbindung von Wirtschaftswachstum und Erhöhung der Einkommen vorsah. Zweitens die Betonung der Rolle der Arbeiterklasse als »führender Kraft der Gesellschaft«, woraus die Beseitigung der letzten Privatunternehmen abgeleitet wurde. Drittens ein großes Wohnungsbauprogramm. Der zweite Punkt war ein schwerer Fehler. Er hat die DDR-Wirtschaft um etwa 11.000 vitale Unternehmen beraubt und die zentrale Planung nur erschwert. Der erste und dritte Punkt waren ein ehrgeiziger Plan zur Verteilung des Reichtums, der teilweise verwirklicht wurde und nicht unbeträchtlich zum Wohlergehen der Bevölkerung beitrug. Der Preis dafür war aber hoch.

Es zeigten sich drei negative Erscheinungen: Erstens gingen der private Konsum und die Investitionen in den Wohnungsbau auf Kosten der Investitionen in die Industrie. So fiel der Anteil der Akkumulation am Volkseinkommen von 29 Prozent 1970 auf 21 im Jahr 1988, der der produktiven Akkumulation von 16 auf neun Prozent. Dies schlug sich in der Überalterung des Maschinenparks und in unzureichenden Investitionen in die Infrastruktur nieder. Da aber die Akkumulationsrate für das Wachstum wesentlich ist, wurden damit die für die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« nötigen Wachstumsraten beeinträchtigt.

Zweitens belasteten die Preissubventionen (die Preise waren für viele auch nicht notwendige Güter auf dem Niveau von 1944, in einigen Fällen sogar von 1936 eingefroren) den Staatshaushalt immer stärker. 1988 wurden für diese Leistungen 30 Prozent des Etats gebraucht. Die Subventionen konnten nicht mehr aus den Gewinnen der volkseigenen Unternehmen finanziert werden und zwangen den Staat zu wachsender Verschuldung. Daher erhöhten sich die Schulden in harter Währung, mit steigenden Ausgaben für die Zinsen, auch wegen der drastischen Erhöhung der Zinssätze infolge der restriktiven Geldpolitik der USA.

Die 1980er Jahre sind gekennzeichnet durch die Nichterfüllung der Pläne, durch zunehmenden Verschleiß der Industrieanlagen und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur, ins Gesundheitswesen und in den Umweltschutz. Doch die Wirtschaft der DDR wuchs weiterhin, wenn auch verlangsamt. Das Pro-Kopf-Einkommen Ende der 1980er lag leicht unter dem Großbritanniens und weit über dem Spaniens. Was die Exporte angeht (zu über 90 Prozent Industrieerzeugnisse), lag die DDR an 16. Stelle weltweit, an zehnter in Europa. Über die Hälfte des Volkseinkommens resultierte aus dem Export.

In den 1980ern lag die Industrieproduktion je Einwohner über der aller anderen Länder Osteuropas (sie war fast doppelt so hoch wie die Ungarns und mehr als doppelt so hoch wie die Polens). Die Sozialleistungen und sozialen Dienste waren überdies weit umfangreicher als im Westen. Neun von zehn Kindern im Vorschulalter besuchten Kinderkrippen und -gärten. Es gab Vollbeschäftigung, auch der Frauen: 92 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter hatten Arbeit. Der Schulbesuch war kostenlos und für alle garantiert.

Am 7. Oktober 1989 war die DDR das wirtschaftlich entwickeltste Land Osteuropas. Sie hatte eine Auslandsschuld von 20 Milliarden D-Mark (eine lächerlich geringe Summe, verglichen mit der heutigen Verschuldung der Staaten Europas, einschließlich Deutschlands), war aber alles andere als »pleite«, wie ständig behauptet wird.

900 Milliarden Mark

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992) Foto: Reuters

Geburtenrückgang und Abwanderung vieler Menschen im arbeitsfähigen Alter führten nach 1989 zu einer Entvölkerung Ostdeutschlands, wie sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr der Fall war (Neugeborenenzimmer der Wittenberger Bosse-Klinik, 26.5.1992)
Foto: Reuters

Was nach diesem 7. Oktober geschehen ist, ist bekannt. Ablösung Honeckers, Fall der Mauer, die Märzwahlen 1990, die der Ost-CDU und ihren Verbündeten einen haushohen Sieg bescherten, die Währungsunion mit dem Westen im Juli und die politische im Oktober 1990.

Um die Entwicklung der Wirtschaft Ostdeutschlands in den letzten 25 Jahren zu verstehen, muss man von der Währungsunion ausgehen. Die wurde nicht nur ohne irgendeine Übergangsfrist vollzogen, sondern auch zu einem Umtauschkurs von eins zu eins für die laufenden Posten (während die übliche Rate eins zu 4,44 war). Der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl meinte Jahre später: »Das war eine Rosskur, die keine Wirtschaft aushält.« Tatsächlich verloren die DDR-Unternehmen mit der Währungsunion auf einen Schlag die Märkte der BRD und anderer Länder des Westens (weil die Preisvorteile des alten Wechselkurses wegfielen), die Märkte des Ostens, mit denen der Austausch jetzt in einer harten Währung (bei gleichzeitiger substantieller Preiserhöhung) erfolgen musste, und einen Großteil des Binnenmarktes, der von günstigeren Produkten aus Westdeutschland regelrecht überschwemmt wurde.

Und nicht nur das. Im Juli 1990 wurden die staatlichen Fabriken und Unternehmen der DDR unter Verwaltung der Treuhandanstalt gestellt. Ihre Privatisierung bekam absoluten Vorrang, auch vor der Sanierung. Zahllose Betriebe wurden liquidiert, und 87 Prozent der privatisierten kamen in westdeutsche Hände. Bestenfalls wurden die im Osten Filialbetriebe von Westkonzernen. Schlimmerenfalls werden sie gekauft und dichtgemacht, um Konkurrenten auszuschalten und um mit ihren Grundstücken und Immobilien zu spekulieren. Das Ergebnis war eine Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums von ungeheurem Ausmaß. Am 19. Oktober 1990 veranschlagte der damalige Präsident der Treuhand, Detlev Karsten Rohwedder, den Wert des zur Privatisierung anstehenden »ganzen Salats« auf 600 Milliarden DM; als die Treuhand Ende 1994 ihre Pforten schloss, wurde statt dessen ein Minus von 256 Milliarden angegeben: Werte von rund 900 Milliarden waren vernichtet worden.

Noch höher waren die sozialen Kosten. Nach amtlichen Schätzungen waren Ende 1989/Anfang 1990 in den dann unter die Kontrolle der Treuhand geratenen Unternehmen 4,1 Millionen Menschen beschäftigt. Ende 1994 waren davon nur noch 104.000 geblieben. Die Treuhand pries als einen großen Erfolg die von den Käufern der privatisierten Unternehmen versprochenen anderthalb Millionen Arbeitsplätze. Selbst wenn wir diese Zahl für bare Münze nehmen, heißt das, dass die Treuhand innerhalb von vier Jahren zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze vernichtet hat!

Schädliche Folgen für die Ostunternehmen hatte auch die Entscheidung, die durchlaufenden Posten zwischen Staat, staatlichen Banken und ebensolchen Unternehmen der DDR als regelrechte Kredite zu betrachten. Diese sogenannten Altschulden stellten eine weitere ungeheure Belastung für die beteiligten Unternehmen und ein phantastisches Geschenk für die Westbanken dar, welche die Ostbanken zu einem lächerlich niedrigen Preis (insgesamt 824 Millionen D-Mark) erworben hatten. Die »Altschulden« betrafen nicht nur die Industriebetriebe. Hinzuweisen ist auch auf die Kredite für das Wohnungswesen, über 20 Milliarden D-Mark, und für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) von rund acht Milliarden. Es verdient festgehalten zu werden, dass es ungeachtet ihrer anfangs unzureichenden Kapitalausstattung und dieser weiteren Belastung vielen Genossenschaften gelang durchzuhalten. Heute weisen sie wirtschaftliche Ergebnisse auf, die im Schnitt besser sind als die der landwirtschaftlichen Betriebe des Westens.

Eine weitere schwerwiegende Entscheidung mit negativen Folgen war der Grundsatz »Rückgabe vor Entschädigung«, demzufolge alle Eigentümer (von Grundstücken, Gebäuden oder Betrieben), die in den 40 Jahren der DDR enteignet worden waren, ein Recht auf den ehemaligen Besitz haben sollten. Daraus ergaben sich 2,17 Millionen Restitutionsfälle. Eine Maßnahme von derart schwerwiegenden Folgen ist ohne Beispiel, hat aber einen ganz einfachen Grund: 40 Jahre Geschichte sollten ausgelöscht werden. Und natürlich beginnend bei den Eigentumsverhältnissen.

Zusammenbruch und Stagnation

Die Folge der wirtschaftlichen »Vereinigung« für Ostdeutschland lässt sich in wenigen Zahlen darstellen: Binnen zweier Jahre, von 1989 bis 1991, ging das BIP um 44, die Industrieproduktion um 65 Prozent zurück. Offiziell (also registriert in den Arbeitsämtern) wurden 830.000 Menschen arbeitslos. Vor allem aber sank die Zahl der Beschäftigten um über zwei Millionen von 8,9 Millionen 1989 auf 6,8 Millionen 1991.

Der Einbruch des BIP, besonders 1990 und 1991, war gravierend. Kein einziges Land Osteuropas hat noch schlechter abgeschnitten. Und das gilt auch für die folgenden Jahre. Das mittlere jährliche Wachstum in den neuen Bundesländern von 1990 bis 2004 lag unter einem Prozent, weit niedriger als in den anderen ehemals sozialistischen Ländern. Dasselbe gilt auch für die nachfolgende Zeit, mit Ungarn als einziger Ausnahme.

Ebenso aussagekräftig ist der Vergleich zwischen dem BIP pro Kopf zwischen Ost- und Westdeutschland. 1989 betrug das BIP je Einwohner in der DDR 55 Prozent von dem der BRD, 1991 nur noch 33 Prozent. In den folgenden Jahren verkürzte sich der Abstand: 1995 sind wir bei 60 Prozent angelangt. Doch von da an verkleinerte sich die Kluft nur noch schwach. Noch 2009, also fast 20 Jahre nach der Vereinigung, betrug das BIP je Einwohner im Osten kaum mehr als zwei Drittel dessen der BRD. Betrachtet man den Beitrag Ostdeutschlands zum deutschen BIP insgesamt, so liegt dieser noch heute unter dem von 1989. Und nimmt ab: Er lag 1989 bei 11,6 Prozent, 2007 bei 11,5 Prozent, 2011 bei elf Prozent.

Zu den spektakulärsten Veränderungen, die sich in der ostdeutschen Wirtschaft nach der Währungsunion vollzogen, gehört die Entwicklung der Exporte. Diese brachen in nur zwei Jahren um 56 Prozent ein: von über 41,1 Milliarden DM 1989 auf gerade noch 17,9 Milliarden 1991. Mehr als halbiert hatten sich auch die Ausfuhren in die Länder Ostmitteleuropas, die zusammen mit der UdSSR zwei Drittel des DDR-Außenhandels ausmachten: in diesem Fall von 28,9 Milliarden 1989 auf 11,9 Milliarden 1991. Und 1994 fielen sie auf nur noch 16 Prozent des 1989 erreichten Niveaus. Der Einbruch ist so massiv, dass er sich auf den Gesamtwert der deutschen Ausfuhren nach Osteuropa auswirkt. Erst 1995 erreicht der deutsche Export dorthin praktisch wieder das Niveau von 1989: rund 61 Milliarden, gegenüber 61,4 Milliarden. Doch die ostdeutschen Exporte sind nun auf fünf Milliarden eingebrochen, und die ostdeutsche Ausfuhrquote wird fast vollständig vom Westen übernommen, der im selben Zeitraum seine Exporte von 31,8 Milliarden auf 56 Milliarden (auf 176 Prozent) steigert.
Auch die Deindustrialisierung vollzog sich äußerst schnell. Schon Ende 1991 produzierte die ostdeutsche Industrie wertmäßig nur noch ein Drittel dessen, was sie vor der »Wende« von 1989 erzeugt hatte.

Von Ende 1989 bis zum Frühjahr 1992 wurden 3,7 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet. Und von 1992 bis 2009 gingen weitere anderthalb Millionen verloren. Ein Teil davon wurde in Teilzeitarbeitsplätze und unterbezahlte Beschäftigung umgewandelt. Andere Betroffene mussten das Heer der Arbeitslosen verstärken. 2008 lebte in Ostdeutschland ein Sechstel der Bevölkerung Deutschlands – aber die Hälfte der Arbeitslosen. Einer Studie der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers zufolge, von der die Thüringer Allgemeine am 27. August 2014 berichtete, wird sich die Beschäftigtenzahl im Osten bis 2030 um weitere zehn Prozent verringern.

Von 1989 bis 2006 sind 4,1 Millionen Menschen aus Ostdeutschland abgewandert, doppelt so viele wie in den zehn Jahren vor dem Mauerbau 1961. Die gesamte zwischendeutsche Wanderungsbilanz (die also auch die vom Westen in den Osten gezogenen Personen enthält) liegt natürlich niedriger, bleibt aber beeindruckend: 1,74 Millionen Menschen, 10,5 Prozent der ostdeutschen Ausgangsbevölkerung.
Der Geburtenrückgang hat, zusammen mit der Abwanderung, zu einem Rückgang der Bevölkerung geführt, wie es ihn im Herzen Europas seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gab. Darauf hat 2003 der brandenburgische Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) hingewiesen.

Eine weiteres Phänomen fällt jedem auf, der die Länder der ehemaligen DDR besucht: die Entvölkerung der Städte, vor allem jener, die industrielle Zentren waren. Zu den Folgen zählt eine ungeheure Menge leerstehender Wohnungen. Sie wurde 2003 von Manfred Stolpe (SPD), damals Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, auf 1,3 Millionen geschätzt. Die Lösung? Die Bauten einfach abreißen. So wurde aus dem Aufbau Ost über den Abbau seiner Industrien der Rückbau Ost.
Und die berühmten Transferzahlungen nach Ostdeutschland? Dazu schrieb der französische Publizist Guillaume Duval: »Die staatlichen Transferzahlungen, über die sich die Westdeutschen so beklagen«, seien in Wirklichkeit »überwiegend an den Westen in Form von Gütern und Dienstleistungen zurückgeflossen«. Ostdeutschland ist so zu einem gestützten Wirtschaftsgebiet geworden, dessen Konsum, bezahlt mit Transfers der Steuerzahler, die Westunternehmen bereichert.

Tricks zum Verschleiern

Schon 2003 schrieb der neoliberale Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, dass »man die wirtschaftliche Vereinigung der beiden Landesteile als gescheitert ansehen kann«. Wer heute das Gegenteil »beweisen« möchte, muss zu statistischen Tricks greifen. Wie etwa dem, als Vergleichsjahr für die Berechnung verschiedener ökonomischer Indikatoren das Jahr 1991 zu nehmen, das Jahr des Tiefpunkts der ostdeutschen Wirtschaft: Auf diese Weise erscheint dann »ein Niveau, das unterhalb des DDR-Standes von 1989 liegt, noch als Verbesserung«, so der Ostdeutschlandforscher Ulrich Busch. Genau das hat jetzt, am 30. September, der Chefökonom der KfW-Bank, Jörg Zeuner, gemacht, um seine surreale Behauptung zu begründen: »Wir können heute über das zweite deutsche Wirtschaftswunder reden.«

Trotz aller Spielereien mit Zahlen und Wörtern fällt es schwer, die Dauerstagnation und die Kluft zum Westen zu verbergen. Einige Ökonomen schätzen, dass es noch mindestens 30 Jahre dauern wird, bis der Westen eingeholt ist, andere gehen von 100 Jahren aus. Die von der Regierung genannten Ziele nehmen sich recht bescheiden aus: Wenn von der Anpassung der Lebensverhältnisse die Rede ist, dient nicht mehr der Westdurchschnitt als Maßstab, sondern dessen strukturschwache Regionen, und um den Ostdurchschnitt zu heben, wird ganz Berlin zu den östlichen Bundesländern gerechnet.
»Der Osten wird auf absehbare Zeit den Anschluss an den Westen nicht schaffen«, meinte Joachim Ragnitz vom Dresdner Ifo-Institut am 4. Mai dieses Jahres in der Welt am Sonntag. Und dies ist der Preis, den die Bürgerinnen und Bürger des Ostens für den raschen politischen Anschluss der DDR an die BRD zu zahlen haben.

Aus dem Italienischen übersetzt von Hermann Kopp

Dazu auch:

Wahrheit über die Hintergründe des DDR-Mauerbaus bis zum Ausbluten der Völker heute

Über die „Mauertoten“, „MfS-Opfer“, und ähnliche BRD-Lügen über die DDR

Appell „Kinder wollen Frieden“

Braunbuch der Nazi- und Kriegsverbrecher in der BRD

und viele mehr. Einfach DDR in die Suche auf meinem Blog eingeben…

 

Offener Brief Dean Reeds an Alexander Solshenizyn

Gefunden in X-Time info vom 23. September 2014

Übersetzung aus dem Russischen: Solveigh Calderin

(Below you find an English version)

Dean ReedVerehrter Kunstkollege Solshenizyn!

Ich, als amerikanischer Künstler, muss auf einige Ihrer Beschuldigungen, die in der kapitalistischen Presse auf der ganzen Welt veröffentlicht wurden, antworten. Nach meiner Meinung sind das verlogene Anschuldigungen, und die Völker der Welt müssen wissen, warum sie verlogen sind.

Sie stempelten die Sowjetunion als eine „tiefkranke Gesellschaft, geschlagen von Hass und Ungerechtigkeit“ ab. Sie sagen, dass die sowjetische Regierung „nicht leben kann ohne Feinde und die ganze Atmosphäre von Hass durchtränkt ist, und noch einmal durch Hass, und sie macht nicht einmal vor Rassenhass halt.“ Sie müssen von meiner Heimat sprechen, aber nicht von Ihrer! Denn gerade Amerika, und nicht die Sowjetunion, führt Kriege und schafft gespannte Verhältnisse für mögliche Kriege dadurch, um ihrer Wirtschaft die Möglichkeit zu funktionieren zu geben, aber unseren Diktatoren, dem militärisch-industriellen Komplex, noch mehr Reichtum und Macht durch das Blut des vietnamesischen Volkes, unserer eigenen amerikanischen Soldaten und aller freiheitsliebenden Völker der Erde zu erwerben. Eine kranke Gesellschaft ist bei mir in der Heimat, aber nicht bei Ihnen, Herr Solshenizyn!

Gerade Amerika, aber nicht die Sowjetunion, verwandelte sich in die gewalttätigste Gesellschaft, die man je in der SolshenizynGeschichte der Menschheit kannte. Amerika, wo die Mafia mehr ökonomische Macht besitzt, als die großen Konzerne, und wo unsere Bürger nachts nicht ohne Angst vor verbrecherischen Überfällen auf die Straße gehen können. Denn gerade in den Vereinigten Staaten, aber nicht in der Sowjetunion, wurden in der Zeit seit 1900 mehr Menschen umgebracht als die Anzahl aller amerikanischen Soldaten, die während des ersten und zweiten Weltkrieges und sogar in Korea und Vietnam umkamen! Gerade in unserer Gesellschaft ist es opportun, jeden beliebigen und jeden progressiven Führer umzubringen, der den Mut hat, die Stimme gegen einige unserer Ungerechtigkeiten zu erheben. Das ist eine kranke Gesellschaft, Herr Solshenizyn!

Weiter sprechen Sie von dem Rassenhass! In Amerika, aber nicht in der Sowjetunion, gibt es seit 200 Jahren ungestrafte Ermordungen von Negern, die als Halbsklaven gehalten werden. In Amerika, aber nicht in der Sowjetunion, schlägt die Polizei jeden beliebigen und alle Neger, die für den Schutz ihrer Rechte aufzutreten versuchen, und nimmt sie fest.

Außerdem sagen Sie, dass „die Freiheit des Wortes, die echte und vollkommene Freiheit des Wortes – die erste Bedingung für die Gesundheit einer jeden Gesellschaft und auch unserer“ ist. Versuchen Sie, diese Gedanken bei den leidenden Völker zu verbreiten, die gezwungen sind, für ihre Existenz zu kämpfen und die gegen ihren Willen unter dem Joch diktatorischer Regimes leben, die ihre Macht einzig dank der militärischen Hilfe der USA erhalten.

Erzählen Sie ihre Gedanken Menschen, deren „Gesundheit“ lediglich daraus besteht, dass die Hälfte ihrer Kinder vor der Geburt stirbt, da sie kein Geld für den Arzt haben und die ihr ganzes Leben von dem Fehlen medizinischer Versorgung betroffen sind. Erzählen Sie davon den Menschen der kapitalistischen Welt, deren „Gesundheit“ daraus besteht, ihr ganzes Leben in ständiger Angst vor Arbeitslosigkeit zu verbringen.

Erzählen Sie den amerikanischen Negern, wie oft ihnen wegen der „Gesundheit“ und der „Freiheit des Wortes“ im Prozess ihres gerechten Kampfes für Gleichberechtigung mit den Weißen geholfen wurde, wenn nach zwei Jahrhunderten der „Freiheit des Wortes auf Amerikanisch“ in meinen Regionen der USA gemeint wird, dass einen Neger umzubringen – dasselbe sei, wie einen Bären zu jagen.

Erzählen sie den Werktätigen der kapitalistischen Welt von ihren Ideen wegen der „Freiheit des Wort als erste Bedingung zur Gesundheit“, wenn wegen des Mangels an Geld ihre Söhne und Töchter nicht ihre geistigen Fähigkeiten in der Schule entwickeln können, und darum niemals nicht einmal lesen lernen können! Sie sprechen über die Freiheit des Wortes, wenn ein großer Teil der Bevölkerung des Erdballs noch über die Möglichkeit das Wort zu lesen spricht!

Nein, Herr Solshenizyn, Ihre Feststellung der Freiheit des Wortes als erste Bedingung der Gesundheit ist falsch. Die erste Bedingung besteht darin, ein Land ausreichend moralisch gesund zu machen, geistig, psychisch und physisch, darin ob seine Bürger lesen, schreiben, arbeiten und gemeinsam auf der Erde leben können.

Nein, Herr Solshenizyn, ich verstehe ihre erste Bedingung für die Gesundheit einer Gesellschaft und besonders in Ihrer Definition und Ihrem Kontext nicht. Mein Land, das bekannt ist, für seine „Freiheit des Wortes“, – dieses Land, wo die Polizei Teilnehmer friedlicher Märsche überfällt, in meinem Land sind friedliche Märsche erlaubt, und es führt zur selben Zeit den Krieg fort, der sich im Leben des vietnamesischen Volkes quälend wiederspiegelt, denn Demonstrationen ändern natürlich die Politik der Regierung nicht im geringsten. Denken Sie denn tatsächlich, der militärisch-industrielle Komplex, der mein Land und die halbe Welt lenkt, kümmert sich um die „Freiheit des Wortes“?! Ihre Regenten verstehen, dass sie und nur sie, die Macht haben, Entscheidungen zu fällen. Wirklich ist die Freiheit des Wortes in den Worten, aber nicht in den Taten.

Sie erklären auch, dass die Sowjetunion nicht im Schritt des XX. Jahrhunderts geht. Wenn das auch wahr ist, so darum, weil die Sowjetunion immer dem XX. Jahrhundert voraus ging! Wollen Sie Ihrem Volk wirklich vorschlagen, seine Rolle als Führer und Avantgarde aller progressiven Völker der Erde aufzugeben und zu unmenschlichen und grausamen Bedingungen zurückzukehren, die auf dem Rest des Erdballs herrschen, wo Ungerechtigkeit tatsächlich reichlich in der Atmosphäre unter den fast feudalen Bedingungen vieler Länder vorhanden ist? Herr Solshenizyn, in dem Artikel ist weiter gesagt, dass Sie – „ein viel leidender Schriftsteller aus der Sowjetunion“ sind. Offenbar bedeutet das, dass sie wegen der fehlenden moralischen und gesellschaftlichen Prinzipien leiden und dass Ihr Gewissen Sie in den stillen Nachtstunden quält, wenn sie mit sich selbst allein sind.

Es ist wahr, dass die Sowjetunion ihre eigenen Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten hat, aber alles in der Welt ist doch relativ. Im Prinzip und in der Sache strebt Ihre Gesellschaft zum Erschaffen einer wirklich gesunden und gerechten Gesellschaft. Die Prinzipien, nach denen Ihre Gesellschaft aufgebaut ist, sind gesund, sauber und gerecht, während die Prinzipien, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist, grausam, egoistisch und ungerecht sind. Offensichtlich kann es im Leben Fehler und einige Ungerechtigkeiten geben, aber es ist sicher, dass eine Gesellschaft, die auf einer gerechten Grundlage erbaut ist, größere Perspektiven zu einer gerechten Gesellschaft zu kommen hat als die Gesellschaft, die auf Ungerechtigkeit und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufbaut. Gerade Ihr Land strebt dazu, progressive Schritte im Namen der Menschheit zu unternehmen und wenn sie in irgendetwas unvollkommen ist und manchmal stolpert, so sollten wir nicht aufgrund dieser Unzulänglichkeiten das ganze System verurteilen, sondern wir müssen sie für den Mut und das Streben, neue Wege zu beschreiten, begrüßen.

Aufrichtig, Ihr

Dean Reed

„Ogonjok“, Nr. 5 (2274), 1971
„Literaturnaja Gaseta“, Nr. 5, 1971

English version, found on www.deanreed.de

Open letter of Dean Reed to Aleksandr Solzhenitsyn

Dear colleague by art Aleksandr Isayevich!

I, as an American artist, must reply on some of your charges, published by capitalist press all over the world. In my opinion, they are false charges and the peoples of world must know, why they false. You stamped the USSR as deeply sick society, struck by hatred and injustice. You say that the Soviet government could not live without the enemies, and entire atmosphere in the hatred, which does not stop even before the racial hatred. You probably speak about my native land, but not about yours. Indeed precisely America, but not the USSR, it wages wars and creates the stressed situation of possible war, in order to give the possibility to its economy to act, but to our dictators and military-industry (VPK) to acquire still more wealth and power on the blood of Vietnamese people, our own soldiers and all freedom-loving peoples of world. Sick society is at my native land, but not at yours, Mr. Solzhenitsyn!

Specifically, the USA, but not the USSR, became the most violent society, which the history ever knew. America, where the Mafia has more economic power, than even the largest corporations, and where our citizens cannot walk at night along the streets without the fear to undergo the attack of criminals. Indeed precisely in the USA, but not in the USSR, their fellow citizens killed in the period with 1900 more people, than it perished American soldiers in both World Wars, and in Korea and Vietnam! Specifically, our society is considered convenient to kill any progressive leader, who finds courage to raise voice against some our injustices. That is what a sick society is, Mr. Solzhenitsyn!

Further you speak about the racial hatred. In the USA, but not in the USSR for a period of two centuries remain unpunished the murders of the Negroes, whom they hold in half-slavery. In the USA, but not in the USSR the police beats and arrests any Negro, who attempts to appear in defense of his rights.

Then you say that the freedom of speech, the honest and complete freedom of speech – here is the first condition of the health of any society and ours also. Attempt to extend these thoughts among the suffering peoples, forced to fight for existence and to live in spite of your will under the oppression of dictators, who are held in authority only because of the aid of the USA.

Tell about your thoughts to people, whose health consists only in the fact that half of their children dies during the delivery, since they do not have money for the doctor, and they suffer entire life without the medical service.

Tell about this to people of capitalist world, whose health lies in the fact that they spend entire life in the fear of unemployment. Tell to American Negroes, as much them helped in fact the freedom of speech in the process of their rightful fight for the equality of rights with the white, when after two centuries of the freedom of speech in an American-like kind in many regions of the USA they think that to kill Negro is like to go to bear hunting!

Tell to the workers of capitalist world about your ideas about the freedom of speech as of the first condition of health, if because of the shortage of money their children cannot develop their mental abilities in the school, and therefore they will never learn to read! You speak about the freedom of speech, while the major part of the population of the world is still speaking about the opportunity of learning to read! No, Mr. Solzhenitsyn, your definition of the freedom of speech as the first condition of the health of society is faulty. The first condition consists in making the country of healthy mentally, moral, spiritually and physically, so that its citizens would read, write, work and to live together in peace.

No, Mr. Solzhenitsyn, I do not admit your first condition of the health of society and especially in your definition and context. My country, known for its freedom of speech – this is a country, where the police will attack participants of peaceful marches. In my country peaceful marches are permitted, and so far war continues in the same time, since demonstrations, evidently, do not change at all the policy of government. Do you really think that VPK, which rules in my country and in a half of the world cares about the freedom of speech? Its rulers realize, that they and only they possess ability to make decisions. Truly the freedom of speech is in the words, but not in reality.

You stated that the USSR does not march in step with XX by century. If this is true then this is because the USSR goes in front by one half step of XX century! Do you really propose to your people to abandon the role of a leader and advanced guard and to return to the inhuman and cruel conditions existing in the remaining part of the world, where the injustice truly abounds in the atmosphere of almost feudal conditions of many countries? Mr. Solzhenitsyn, in the article it is also said, what you – long-suffering writer from the Soviet Union. Apparently, this means that you much suffer because of the absence of moral and social principles, and that your conscience torments you during quiet night hours, when you remain one by one with yourself.

It is correct, that the USSR has its own injustices and deficiencies, but indeed everything in the world is relative. In principle and in reality your society is trying to build really healthy and fair society. The principles, on which is built your society, are healthy, clear and fair, while the principles of my society are cruel, mercenary (selfish) and unfair. Obviously, there can happen some mistakes and injustices in life; however, there is no doubt that a society built on fair principles has more prospects to come to fair society, than that, which is built on injustice and exploitation of a man by man. Society and government of my country are behind the time, because their sole purpose consists in to keep a status quo in the entire world. Specifically your country attempts to make progressive steps into the name of humanity, and if it is not perfect sometimes and stumbles at times, then we must not condemn entire system for these defects, but must greet it for its courage and striving for laying new ways.

Sincerely yours,

Dean Reed

Das Lied des Volkes

 

 

 

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