Die Epoche neuer Imperien beginnt – 1. Teil

Teil 2 >>>

Andrej Iljitsch Fursow (Андрей Фурсов) – Soziologe, Journalist, Politwissenschaftler

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Spezialist in moderner Geschichte, PhD in Geschichte. Er promovierte am Instutut für asiatische und afrikanische Studien der Moskauer Staatsuniversität. Ph.D. in Geschichte. Gründete und leitete das das Geschichts-Institut der Russischen Staatlichen Humanitären Universität, war Co-Direktor des Zentrums für Vergleichende und Globale Studien IFS RSUH, Leiter der Abteilung des Asien und Afrika Instituts der Wissenschaftlichen Information der Sozialen Wissenschaften, Russische Akademie der Wissenschaften.

Ein Spezialist der russischen Geschichte und Geopolitik. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stehen für Fursow die Herausforderungen der Globalisation, die sozialen und politischen Verhältnisse. Er ist der Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Papieren, einschließlich neun Büchern.

Andrej Fursow ist Kandidat der historischen Wissenschaften Russlands und Mitglied der internationalen Akademie der Wissenschaften, München, Deutschland.

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Mir begegnete Andrej Fursow auf einigen YouTube Videos, in denen er sehr anschaulich die heutige Situation auf unserer Erde aus der Vergangenheit ableitet und daraus zu Schlussfolgerungen für eine mögliche Zukunft kommt.

So fand ich zu einem Video den Link zu dem Interview, das am 17. Januar 2012 mit „Svobodnaja Pressa“ – SP – (Freie Presse) mit Fursow geführt und am 17. April 2012 auf dem Blog Gentleman’s Garnitur (Джентельменский набор) veröffentlicht wurde, wo ich es fand.

Da hier die gegenwärtige Situation der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen wiederum auch aus der Geschichte heraus beleuchtet werden und wir so die Möglichkeit bekommen, die Gegenwart zu verstehen, habe ich mich entschlossen, dieses Interview zu übersetzen und Fursows Sicht auf die Dinge meinen Lesern zur Verfügung zu stellen.

Es folgt meine eigene unautorisierte Übersetzung des genannten Interviews.

Fotos in dem Artikel: Nataly Kouskova, Juliana S, Sergey Butkevich, Drainmaster *, Maryna Didkovska, Denis Galinsh, Новостной портал ИТАР-ТАСС, Nataliya, Олег Данкир, Виктор Барашков, Anton Shevtsov, Galina Dovgalyuk
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Teil 1

Die Eurasische Union – die einzige Chance für Russland zu überleben

Das vergangene Jahr blieb durch eine ganze Reihe von Vorgängen mit besonderer Bedeutung in Erinnerung — „der arabische Frühling“, die Krise der Eurozone, der Zusammenbruch der multikulturellen Ideologie. Ihre Auswirkungen setzen sich in einer ganze Kaskade langfristiger Konsequenzen fort. Was können das für Konsequenzen sein? Wer profitiert von den Veränderungen? Wie wirken sich diese Prozesse, die sich heute in Europa und der Welt entwickeln, auf Russland aus? Zu diesen und anderen Fragen argumentiert der Direktor des Zentrums für Russische Forschung MosGU, Andrej Fursow.

SP“: Andrej Iljitsch, was hat Sie als Forscher in erster Linie interessiert?

Ich würde die Eurozone und den Aufstieg Deutschlands unterstreichen, aber genau so den norwegischen Zwischenfall. All das geschah vor dem Hintergrund des gleichzeitigen Abschlusses von zwei Epochen auf der Erde und in Russland – die neoliberale Revolution und die postsowjetische Epoche. Die Krise der Eurozone – eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres 2011, das mehrere Abtrennungen und „Ausläufer“ hat. Sie beweist die Krise des neoliberalen Systems, und daraus folgend – der Globalisierung als Ganzes. Die Künstlichkeit der Europäischen Union in dieser Sicht, in der sie konstituiert wurde, zeigte sich bereits am Ende der 1990iger Jahre, die Krise von 2008 macht ihre Künstlichkeit mehr als offensichtlich. Heute kracht gerade das neoliberale, multikulturelle Europa aus allen Nähten. Und in ihr wird offensichtlich der postliberale Führer erkenntlich – Deutschland als Zentrum des „karolingischen Kerns“ (Deutschland, Frankreich, Norditalien).

Das Karolinger Reich im 9. Jh.

Das Karolinger Reich im 9. Jh.

SP“: Denken Sie, dass dies schon ein vollendeter Fakt ist?

Ich denke, ja. Der Aufstieg Deutschlands zeigt die „Grenze des Wachstums“ der Globalisation, aber eigentlich – sein Ende. Die neoliberale Revolution/Globalisation erreichte seine Ziele und hat damit das bestehende System und seine Formen der Organisation, zum Beispiel die Untergrabung der nationalen Staaten, ausgeschöpft. Nun, und gleichzeitig sich selbst. Heute ist klar, dass andere, nicht einfach nur nicht liberale, sondern anti-liberale Formen notwendig sind, – und wenn auch nur, um die Krise zu überleben und den Finanzmarkt für 30 Jahre zu beschwichtigen und hinauszögern und, das ist nicht weniger wichtig, es ist das sozial-psychologische, wenn nicht gar das geistige Element, die Krise zu überstehen.

SP“: Sie haben die „Chaotisierung“ der Weltwirtschaft, der Finanzen im Blick?

Das Chaos der Jahre von 1980 bis 2000 umfasst nicht nur die Finanzsphäre. Es zerstörte nicht nur die reale Ökonomie, die nationalen Staaten und die Politik. Aber auch – was besonders wichtig ist – die Sphäre des Bewusstseins. Die neoliberale Revolution brachte das Bewusstsein der Menschen ins Ungleichgewicht. Alternativen und Widerstand zum globalen Chaos können werden (und werden bereits) die Zentren der postglobalen Kristallisation der Macht und des Reichtums, die nicht im globalen Maßstab sind, und zur selben Zeit territorial und demographisch den vergehenden Nationalstaaten überlegen sind.

Albertina - Königsberg

Scheinbar sieht dies wie der Zusammenbruch des globalen Systems der Blöcke aus, die an die imperiale Bildung erinnert. Beobachter sprachen sogar über eine Wiedergeburt der Imperien – des Deutschen, Osmanischen, Britischen.

Deutschland ist der Kandidat Nummer eins für die Rolle des Begründers eines solchen Imperiums. Im Grunde genommen schreiben darüber sogar schon die Zeitungen. Zum Beispiel, am 17. August 2011, veröffentlichte die Daily Mail einen Artikel „Die Wiedergeburt des Vierten Reiches oder wie Deutschland die Finanzkrise für die Eroberung Europas benutzt“. In dem Artikel wird darüber gesprochen, dass Deutschland die Vereinigten Staaten von Europa erschafft, die ganz und gar nicht demokratisch, sondern das Gegenteil sein werden.

Selbstverständlich, zeigt sich hier teilweise die traditionelle britische Angst vor den Deutschen. Nicht nur teilweise. Im Jahr 1940 bemerkte Churchill, dass die Briten nicht gegen Hitler kämpfen, sondern gegen den Geist Schillers – damit er nie wiedergeboren würde. Es scheint, dass sich einer der wichtigsten Russen- und Deutschfeindlichen des 20. Jahrhunderts irrt: Über den Geist zu reden ist noch schwierig, aber Deutschland ist schon wiedergeboren. Vor allem die Deutschen aus ihrer historischen Ablehnung des Universalismus/Globalismus ob katholisch oder erleuchtet, aus ihrer Erfahrung der hitlerschen Eurounion und des riesigen Kartells „IG Farbenindustrie“, neigen traditionell zur „Ordnung“ und zum Antiliberalismus, gehen in der Avantgarde der Wiedergeburt Europas. Wenigstens ihr zentraler Teil – das reicht völlig für die Begründung eines lebensfähigen antiliberalen imperiumähnlichen Europas. Die Rede muss vor allem über die imperiumähnlichen Gebilde, über die Entstehung von etwas Neuem, aber nicht die Wiedergeburt von etwas Altem sein.

SP“: Sie nehmen an, dass gerade diese Form zu einer Veränderung der Globalisation mit seinen Strukturen führen kann?

Die Zeit der Imperien ist vorbei. Aber die Zeit ihre Nationalstaaten zu ersetzen – auch. Wie auch die Globalisation, die diese Staaten untergruben.

Imperienähnliche Gebilde (IPO – Deutsch wäre das IÄG) – das ist eine nationale Macht, ein Superkonzern und Orden gleichzeitig, das institutionell-hierarchische und Netzprinzip kombinierend. Das sind mehr oder weniger organische übernationale Blöcke mit Bevölkerungen von nicht weniger als 300 bis 350 Millionen Menschen. Äußeres Subjekt der Lenkung der IÄB werden staatliche Bürokratien mit einer wesentlichen Rolle der Militär- und Geheimdienste sein, eine Rolle, die in den Krisenbedingungen wächst und die durch das Finanzkapital eingenommen wurden, das ihnen im Jahr 2008 den Krieg angesagt und zur Unterdrückung – des Typs der Kompromisse oder der Kompromisslosigkeit – verdammt hat.

An der Oberfläche der Formierung der IÄG kann eine Form der rechten nationalistischen (mindestens anti-multikulturellen) politischen Revolution sein. Die IÄG können nur anti-liberal sein (der Grad – das ist eine Frage der konkret-historischen Umstände). Aber das bedeutet, mindestens für Europa, unter den Bedingungen der Krise das Erscheinen rechter Parteien neuen Typus. Es scheint, die Geschichte wiederholt sich: aus der Weltkrise 1929 – ging 1933 Deutschland als Drittes Reich hervor, aus der Weltkrise der 2010er Jahre, die schlimmer sein wird als die von 1929, wie schon K. Lagard voraussagt, könnte Deutschland als Fünftes Reich hervorgehen (das Vierte Reich war eine Netzstruktur, gebildet aus ehemaligen Nazis in der zweiten Hälfte der 1940iger bis 1950iger Jahre.)

SP“: Welche Wirkungen kann diese Restrukturierung Europas haben , über die Sie sprechen?

Die Entstehung des IÄG „Europa“ mit deutschem Kern löst die einen Probleme und begründet andere – wie für die Nachbarn, so auch für Russland. Wir haben aus diesem Grund kaum Anlass zum Jubel. Den Revanchismus als historische Erscheinung hat niemand verändert. Einzig in der kurzfristigen, aber möglicherweise auch in der mittelfristigen Perspektive ist der Aufstieg Deutschlands ein positiver Faktor für Russland. In jedem Fall müssen wir unseren IÄG errichten, wie er auch immer heißen möge: historisches Russland oder Eurasische Union – das ist unsere einzige, wenn auch bei weitem nicht problemlose Chance.

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Die Logik des europäischen Gleichgewichts fordert die Bildung eine Kontrabalance zu Deutschland, das könnte die anglo-französische Union werden, weniger wahrscheinlich eine franko-russische (wegen der Verbindung Deutschlands mit der Russischen Föderation), und noch weniger möglich eine anglo-französiche-russische – wegen der traditionellen historischen Konfrontation der Briten und Russen in Eurasien, im Besonderen im Kaukasus und in Zentralasien. Aber insofern sich diese Regionen heute im Großen Spiel-2 entfalten, in dem die britischen und russischen Interessen wieder zusammenstoßen, so wird die Entente-2 kaum möglich sein. Im besten Fall – eine britisch-französische Union im Geiste dessen, was in der nachnapoleonischen Epoche stattfand.

Die Aktivierung der Briten in Eurasien und der Welt fordert die Veränderung der Beziehungen mit dem amerikanischen „Cousin“, aber insbesondere – die ernsthafte Schwächung des Kurses der anglo-amerikanischen Einheit, verkündet in den 1890iger Jahren durch Cecile Rodhes und seit dem aktiv entwickelt. Und die Tendenz zu solcher „Scheidung“ ist vorhanden: im Februar 2005 im Oberhaus (House of Lords) klang der (Auf-)ruf zur „Bostoner Teaparty“, aber umgekehrt. (Die Bostoner Teaparty ist eine historische Episode des Kampfes der nordamerikanischen Kolonie Englands für die Unabhängigkeit. Die Entscheidung der englischen Regierung im Jahr 1773 der Ost-Indischen Gesellschaft das Recht der zollfreien Einfuhr des Tees in die nordamerikanische Kolonie anzubieten, führte zur Unterwanderung der Wirtschaft der Kolonie und verursachte die Empörung der Kolonisten, besonders der Kaufleute, die sich mit dem Verkauf von Schmuggeltee beschäftigten. Im Dezember 1773 drang eine Gruppe der Organisation „Söhne der Freiheit“ in den Ankunftsbereich des Bostoner Hafens ein und warf eine große Menge des Tees der englischen Schiffe ins Meer. Die anschließende Schließung des Bostoner Hafens, das Versammlungsverbot für die Einwohner und die Einquartierung englischer Soldaten in der Stadt verschärfte den Konflikt zwischen der Metropole und der Kolonie noch mehr. – „SP“) Am anderen Ufer des Atlantik ist Obama auch kein großer Anhänger der anglo-amerikanischen Einheit im Geiste Rhodes.

Teil 2 >>>

Original des Interviews mit Andrej Fursow