Andrej Fursow: Stalin – hier und heute

Andrej Fursow gab dem Fernsehsender Djen.TV (Tag.TV) ein Interview zum Thema Stalin und seine Bedeutung für uns heute.

Ich veröffentliche dieses Video mit dem Verweis auf sein Interview, das er am 22. Januar 2013 der “Russkiy Mir Saporoshja” – “Die russische Welt Saporoshjes” gab, das ich unautorisiert übersetzte und auf meinem Blog veröffentlichte.

Über die Globalisation, Stalin und die Neuen Imperien

Andrej Fursow im Gespräch mit Sergey Tabarinzew-Romanow auf  kanun.ru (kanun = Vorabend).

Eigene unautorisierte Übersetzung der Übernahme des Interviews von „Russkiy Mir Saporoshja“ – „Die russische Welt Saporoshjes“ vom 22. Januar 2013

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In dieser Woche findet im schweizerischen Davos das jährliche Wirtschaftsforum statt. Traditionell verstärkt sich in dieser Zeit die Aktivität verschiedener Arten der Antiglobalisten, aber auf dem informationellen Feld wird traditionell an die „Verschwörungstheorien“ über „Clubs der Oligarchen“, „Geheime Regierungen“ und der „Neuen Weltordnung“ erinnert. Obwohl die organisierte Bewegung der Antiglobalisten erst vor kurzer Zeit auftrat, wird das globalistische Projekt schon seit fast anderthalb Jahrhunderten verwirklicht. Das einzige, was seinen siegreichen Zug durch die Welt aufhalten konnte, – das war der Widerstand Russlands, der politische Wille Stalins und seiner Anhänger. Über zwei Siege Stalins über die Globalisten, über die „Verschwörungstheorien“ und über den Widerstand gegen das imperiale und globalistische Projekt sprach auf Nakanun.ru der Historiker und Soziologe Andrej Fursow.

Erzählen Sie, wie und wann entstand das globalistische Projekt und was waren seine Ziele?

Seit dem Ende des 19. Jahrhundert entsteht in der Weltpolitik und Weltwirtschaft der Gegensatz zwischen den globalistischen und imperialistischen Prinzipien. Für die globalistischen Prinzipien standen Großbritannien und mit der Zeit verbündeten sich mit ihm die Vereinigten Staaten von Amerika. Es ging um den Aufbau eines globalen Marktes, auf dem niemand den Austausch der Waren behindert. Dem Aufbau und der Verwirklichung dieses globalistischen Projektes standen große Imperien im Weg. Vor allem waren das die deutschen und russischen Imperien, aber auch das Österreich-Ungarische und in geringerem Umfang auch das Osmanische. Sie kontrollierten ihre politischen und ökonomischen Räume, und das störte natürlich denjenigen, der einen globalen Markt wollte, der, wie die europäischen Finanziers, ein „Europa ohne Grenzen“ wollte, das heißt Venedig in der Größe Europas.

Der Erste Weltkrieg war ein Instrument zur Realisierung dieses Projektes?

Eigentlich bestand eine der Hauptaufgaben des Ersten Weltkrieges darin, die großen Imperien zu vernichten und an ihrer Stelle kleine Nationalstaaten zu schaffen, die dann sehr leicht zu lenken wären. So geschah es auch. Es muss gesagt werden, dass diese globalistische Elite ihre Pläne die nicht versteckte – Ende des XIX. Jahrhunderts erschien in der englischen Zeitung „Truth“ („Wahrheit“) ein Pamphlet mit der Bezeichnung „Der Traum des Kaisers“. Der Kaiser verlor den Krieg, fährt im Zug nach England und wird in einem Arbeiterhaus leben. Und er schaut auf eine Karte, wo anstelle Deutschlands kleine Nationalstaaten sind, anstelle Österreich-Ungarns sind kleine Nationalstaaten, aber anstelle Russlands ist Wüste.

Mit anderen Worten, was aus dem Ersten Weltkrieg hervorging, das war der teilweise Sieg dieses globalistischen Planes, aber, wie es sich zeigte, nicht ganz, weil sich ein großes System mit dem Namen „Russland“ in dieser Zeit gegenüber dem großen System mit dem Namen „kapitalistische Welt“ als zu widerstandsfähig erwies. Die Interessen dieses großen Systems – Russland – bekundete Stalin auch den Kräften, die ihn unterstützten. Im Ergebnis wurde vom Kurs einer Weltrevolution abgewichen und ab der Mitte der zwanziger Jahre ging die Sowjetunion von dem Programm der „Weltrevolution“ zum Programm des „Sozialismus in einem Land“ über. Die Weltrevolution und der Weltkrieg – das sind die Hauptmittel, mit deren Hilfe sich das globalistische Projekt verwirklicht. So riss Stalin in dem Moment die Pläne der Globalisten ein, dabei nicht nur die der rechten Globalisten – den Finanzmaklern der modernen Welt, sondern auch der linken Globalisten – denen der Komintern.

Der Sieg der UdSSR im Zweiten Weltkrieg wurde noch ein Hinderniss für die Realisierung des globalistischen Projektes?

Stalin durchkreuzte das zweite Mal die Pläne der Globalisten, als wir das Rückgrat der Wehrmacht brachen und Hitlerdeutschland besiegten. Dabei erwies sich der Zweite Weltkrieg als Konfrontation des Dritten Reiches einerseits sowohl gegen die Angelsachsen als auch gegen Russland – und andererseits war das Dritte Reich nicht weniger ein Experimentierprojekt der Globalisten. Da es durch Stalin zerstört worden war – war das zweifellos auch ein Schlag gegen die Globalisten. Es gibt noch eine Sache, warum der Westen Stalin hasst: Unter seiner Leitung wurde die Sowjetunion wieder aufgebaut. 1953 starb Stalin oder wurde ermordet, aber schon in der Mitte der fünfziger Jahre, dass heißt zu einem großen Teil während Stalins Leben, war die Sowjetunion wieder aufgebaut und wurde eine Supermacht. Das sind die drei Schläge Stalins gegen die Globalisten, und das können sie ihm nicht verzeihen.

Im Moment des Endes des Zweiten Weltkrieges änderte sich das globalistische Projekt oder wurde die Absicht zurückgestellt?

Die Absicht war die selbe, aber vom Standpunkt seines sozialen Inhalts – die Welt tritt nicht auf der Stelle. Hauptschalgkraft der Globalisation in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts war eine neue raubgierige junge Fraktion – die Bourgeoisie der Corpotokratie. Das ist die Schicht der Bourgeoisie, die mit den transnationalen Corporations [= Konzerne – ich benutze hier das englische Wort, um den Begriff der Corpotokratie deutlich zu machen. Anm. von mir] verbunden war. Aber die Absichten waren genau die selben – das Errichten einer globalen Welt, einer globalen Regierung, um die vollkommene Kontrolle über alle Warenflüsse herzustellen. Und 1991, mit der Zerstörung der Sowjetunion, verwirklichte sich dieser Plan. Verwirklichte er sich endgültig? Ich habe daran großen Zweifel. Die Globalisation befindet sich gemeinsam mit der modernen Welt in einer Krise. Durch den Riss der globalen Welt beginnen die Umrisse der vorherigen Imperien zu erscheinen. Ich denke, dass die Konfrontation zwischen den imperialen und globalistischen Prinzipien nicht beendet sind. Stalin zeigte den sehr richtigen Weg: Er zeigte, dass es nicht möglich ist, den Globalisten, Globalisatoren und der Globalisation mit Nationalstaaten zu widerstehen, weil sie einfach nicht riesig genug sind. Das müssen bedeutende übernationale imperiumähnliche Gebilde mit einer Bevölkerung von 250 bis 300 Millionen Menschen sein, damit sie ökonomisch selbständig sind. Außerdem müssen das Strukturen sein, deren Kern der militärisch-industrielle Komplex, die Armee, der wissenschaftliche Komplex und die Geheimdienste sind.

Oft kann man die Konzepte der berüchtigten „Verschwörungstheorien“ hören , nach denen die Welt von einer dunklen globalen Regierung beherrscht wird, hunderte Oligarchen, irgendwelche Geheim-Klubs usw., es gibt eine Menge Varianten. Gibt es nach ihrer Meinung solche Strukturen und in welcher Form existieren sie?

Ich denke nicht, dass irgendeine „Weltregierung“ existiert. Wenn es sie geben würde, dann wären die Dreiseitigen Kommissionen, die Bilderberger und andere ähnliche Strukturen nicht nötig. Alles ist wesentlich einfacher. Es gibt 12 – 15 Familien-Clans, von denen die globalen Finanzflüsse kontrolliert werden. Sie verabreden sich untereinander und stehen im Konflikt zueinander und die Dreiseitige Kommission und die Bilderberger – dass sind die Strukturen zu Vereinbarungen der Steuerung. Zu einem beträchtlichen Teil steuern sie bestimmt die Weltprozesse, aber, wie ein Schriftsteller, Tom Clansy, bemerkte, die Welt ist allzu kompliziert und groß, um sie von einem Ort aus zu steuern. Was die Kritik an den „Verschwörungstheorien“ betrifft, so beschäftigen sich mit denen vor allem entweder die Menschen, die nicht verstehen, was eine „Verschwörung“ ist oder die absichtlich daran arbeiten, die wirklichen Mechanismen der Welt-Politik und -Ökonomie zu verschleiern. Wenn mir davon erzählt wird, dass die Finanz-Oligarchen das und das geheim machen und dass dies eine Verschwörung sei, frage ich immer: Aber die Komintern, die dritte Internationale, die im Laufe von zwanzig Jahren heimlich die revolutionären Tätigkeiten plante, heimlich die kommunistischen und Arbeiterparteien finanziell unterhalten haben – ist das ein Verschwörung oder nicht? Alles hängt davon ab, wie wir Verschwörung definieren. Wenn wir eine Gruppe von Menschen haben, von denen die Informationen, die Macht und das Eigentum kontrolliert werden und die das heimlich tun und das im übernationalen Maßstab tun können, so ist das keine Verschwörung – das ist kapitalistische Politökonomie – nur geheim.

Kann man davon sprechen, dass diese 12 – 15 Familien auch an den Ursprüngen des globalistischen Projektes standen und seine Inspiratoren waren?

Zweifellos. An den Ursprüngen des globalistischen Projektes standen die Rothschilds, Rockefeller, Kuhns, Loebs, Schiffs. Die Sache ist die, dass es hier nichts Subjektives gibt. Die Logik der Entwicklung des Kapitalismus besteht in der Expansion und diese Menschen drücken mit ihrer Tätigkeit die ganzheitlichen und langfristigen Tendenzen der Entwicklungen des Kapitalismus aus. Eine andere Sache ist, dass der Kapitalismus an seinen natürlichen sozialen Rahmen stößt, außerdem schöpfte er die physische Fläche aus. Gerade das bedingt die gegenwärtige Krise.

Sie sprachen davon, dass das Projekt der Globalisation die Zerstückelung der Imperien in kleine Nationalstaaten voraussetzte. Dennoch scheint es jetzt, dass der umgekehrte Prozess läuft?

Zur Zeit gibt es zwei Tendenzen. Auf der einen Seite rutschen die Nationalstaaten in Regionen, wie wir das in Europa sehen. Aber auf der anderen Seite vollzieht sich die Bildung großer Staaten, die sich als große übernationale Strukturen darstellen. Die Welt ist sehr gegensätzlich.

Gibt es eine Zukunft der Globalisation? Sie sprachen schon davon, dass dieses Projekt eine Krise durchlebt. Kann man in diesem Sinne von einer Änderung der Tendenzen oder von dem Erscheinen, zum Beispiel, eines globalen islamischen Projektes oder sagen wir von einem neuen imperialen Projekt, zum Beispiel mit einem russischen Kern, sprechen?

Das islamische Projekt gab es immer. Eine andere Sache, die verstanden werden muss, ist, welchen Platz das islamische Projekt in der gegenwärtigen Welt einnimmt. Im gegebenen Moment sehe ich kein globales islamisches Projekt. Alle diese Gespräche über ein globales Kalifat geht maßgeblich darum, dass der Westen damit für sich einen neuen Feind finden und die Militärausgaben begründen konnte. Russland hat im Moment auch keinerlei globales Projekt. Es wurde Ende der 1980iger Jahre durch Gorbatschow, aber in den 90igern durch Jelzin, in das westliche globale Projekt eingebettet, aber es stellte sich heraus, dass Russland sogar im derzeitigen Zustand ein zu großer Bissen ist, und der Westen kann es nicht schlucken. Wünschen wir, dass er an diesem Bissen erstickt.

Kann man davon sprechen, dass die Epoche der souveränen Staaten, wie sie im Westphälischen System des Friedens verankert sind, in die Vergangenheit geht und durch irgendwelche anderen Formen der politischen Abgrenzungen der Staaten ersetzt werden?

Das Westphälische System geht tatsächlich in die Vergangenheit. Dass die Souveränität verschwindet – das ist der sehnlichste Wunsch der Globalisten, die schon seit sechzig Jahren aktiv davon sprechen, dass die Souveränität die Möglichkeiten der Entwicklung der Staaten begrenzt, dass ein Teil der Souveränität an übernationale Strukturen abgegeben werden muss. Tatsächlich schränkte das Entstehen der Organisation der Vereinten Nationen teilweise die Souveränität ein, aber nur die Souveränität schwacher Staaten. Schauen Sie zu den Vereinigten Staaten – ist bei denen etwa die Souveränität eingeschränkt? Das machen sie, die Souveränität anderer Länder einschränken. Möglicherweise besitzen zwei Länder in der gegenwärtigen Welt eine ziemlich mächtige Souveränität, die keine Globalisation unterminiert – die USA und China.

Wenn wir jedoch annehmen, dass sich der „Traum des Kaisers“ erfüllt hätte und Stalin nicht in den Weg der Globalisten getreten wäre, wie hätte sich die Situation entwickelt und liefe es nicht darauf hinaus, dass die Krise des Globalismus einfach früher begonnen hätte?

Das Problem liegt nicht darin, dass Stalin den Globalisten im Weg stand, sondern darin, dass ein großes System „Russland“ den Globalisten im Wege war und in ihm fanden sich Kräfte, die diesen Widerstand artikulieren konnten. Die Interessen der Mannschaft Stalins fielen mit denen der Macht zusammen, die in dem zerschlagenen Russland des Bürgerkrieges noch übrigblieb.

Dennoch, was wäre das für eine Welt, wenn sich das globalistische Projekt vor einhundert Jahren durchgesetzt hätte?

Ich denke, dass die Globalisation früher oder später sowieso ihren Widerspruch geboren hätte und durch den Riss der globalen Welt würden Neo-Imperien hindurch brechen. Nur würde sich das in einer anderen Form als heute vollzogen haben. Heute geschieht es so, wie wir es sehen: der finale Kampf der Globalisten und die Imperialen befinden sich auf der Tagesordnung.

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Lesen Sie dazu von Andrej Fursow auch:

Die Epoche Neuer Imperien beginnt – Teil 1

und:

Die Epoche Neuer Imperien beginngt – Teil 2

Zu der Behauptung Fursows der 12 – 15 Familienclans sehen Sie auch dieses Interview KenFms mit Hans-Jürgen Krymanski:

Die Epoche neuer Imperien beginnt – 1. Teil

Teil 2 >>>

Andrej Iljitsch Fursow (Андрей Фурсов) – Soziologe, Journalist, Politwissenschaftler

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Spezialist in moderner Geschichte, PhD in Geschichte. Er promovierte am Instutut für asiatische und afrikanische Studien der Moskauer Staatsuniversität. Ph.D. in Geschichte. Gründete und leitete das das Geschichts-Institut der Russischen Staatlichen Humanitären Universität, war Co-Direktor des Zentrums für Vergleichende und Globale Studien IFS RSUH, Leiter der Abteilung des Asien und Afrika Instituts der Wissenschaftlichen Information der Sozialen Wissenschaften, Russische Akademie der Wissenschaften.

Ein Spezialist der russischen Geschichte und Geopolitik. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stehen für Fursow die Herausforderungen der Globalisation, die sozialen und politischen Verhältnisse. Er ist der Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Papieren, einschließlich neun Büchern.

Andrej Fursow ist Kandidat der historischen Wissenschaften Russlands und Mitglied der internationalen Akademie der Wissenschaften, München, Deutschland.

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Mir begegnete Andrej Fursow auf einigen YouTube Videos, in denen er sehr anschaulich die heutige Situation auf unserer Erde aus der Vergangenheit ableitet und daraus zu Schlussfolgerungen für eine mögliche Zukunft kommt.

So fand ich zu einem Video den Link zu dem Interview, das am 17. Januar 2012 mit „Svobodnaja Pressa“ – SP – (Freie Presse) mit Fursow geführt und am 17. April 2012 auf dem Blog Gentleman’s Garnitur (Джентельменский набор) veröffentlicht wurde, wo ich es fand.

Da hier die gegenwärtige Situation der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen wiederum auch aus der Geschichte heraus beleuchtet werden und wir so die Möglichkeit bekommen, die Gegenwart zu verstehen, habe ich mich entschlossen, dieses Interview zu übersetzen und Fursows Sicht auf die Dinge meinen Lesern zur Verfügung zu stellen.

Es folgt meine eigene unautorisierte Übersetzung des genannten Interviews.

Fotos in dem Artikel: Nataly Kouskova, Juliana S, Sergey Butkevich, Drainmaster *, Maryna Didkovska, Denis Galinsh, Новостной портал ИТАР-ТАСС, Nataliya, Олег Данкир, Виктор Барашков, Anton Shevtsov, Galina Dovgalyuk
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Teil 1

Die Eurasische Union – die einzige Chance für Russland zu überleben

Das vergangene Jahr blieb durch eine ganze Reihe von Vorgängen mit besonderer Bedeutung in Erinnerung — „der arabische Frühling“, die Krise der Eurozone, der Zusammenbruch der multikulturellen Ideologie. Ihre Auswirkungen setzen sich in einer ganze Kaskade langfristiger Konsequenzen fort. Was können das für Konsequenzen sein? Wer profitiert von den Veränderungen? Wie wirken sich diese Prozesse, die sich heute in Europa und der Welt entwickeln, auf Russland aus? Zu diesen und anderen Fragen argumentiert der Direktor des Zentrums für Russische Forschung MosGU, Andrej Fursow.

SP“: Andrej Iljitsch, was hat Sie als Forscher in erster Linie interessiert?

Ich würde die Eurozone und den Aufstieg Deutschlands unterstreichen, aber genau so den norwegischen Zwischenfall. All das geschah vor dem Hintergrund des gleichzeitigen Abschlusses von zwei Epochen auf der Erde und in Russland – die neoliberale Revolution und die postsowjetische Epoche. Die Krise der Eurozone – eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres 2011, das mehrere Abtrennungen und „Ausläufer“ hat. Sie beweist die Krise des neoliberalen Systems, und daraus folgend – der Globalisierung als Ganzes. Die Künstlichkeit der Europäischen Union in dieser Sicht, in der sie konstituiert wurde, zeigte sich bereits am Ende der 1990iger Jahre, die Krise von 2008 macht ihre Künstlichkeit mehr als offensichtlich. Heute kracht gerade das neoliberale, multikulturelle Europa aus allen Nähten. Und in ihr wird offensichtlich der postliberale Führer erkenntlich – Deutschland als Zentrum des „karolingischen Kerns“ (Deutschland, Frankreich, Norditalien).

Das Karolinger Reich im 9. Jh.

Das Karolinger Reich im 9. Jh.

SP“: Denken Sie, dass dies schon ein vollendeter Fakt ist?

Ich denke, ja. Der Aufstieg Deutschlands zeigt die „Grenze des Wachstums“ der Globalisation, aber eigentlich – sein Ende. Die neoliberale Revolution/Globalisation erreichte seine Ziele und hat damit das bestehende System und seine Formen der Organisation, zum Beispiel die Untergrabung der nationalen Staaten, ausgeschöpft. Nun, und gleichzeitig sich selbst. Heute ist klar, dass andere, nicht einfach nur nicht liberale, sondern anti-liberale Formen notwendig sind, – und wenn auch nur, um die Krise zu überleben und den Finanzmarkt für 30 Jahre zu beschwichtigen und hinauszögern und, das ist nicht weniger wichtig, es ist das sozial-psychologische, wenn nicht gar das geistige Element, die Krise zu überstehen.

SP“: Sie haben die „Chaotisierung“ der Weltwirtschaft, der Finanzen im Blick?

Das Chaos der Jahre von 1980 bis 2000 umfasst nicht nur die Finanzsphäre. Es zerstörte nicht nur die reale Ökonomie, die nationalen Staaten und die Politik. Aber auch – was besonders wichtig ist – die Sphäre des Bewusstseins. Die neoliberale Revolution brachte das Bewusstsein der Menschen ins Ungleichgewicht. Alternativen und Widerstand zum globalen Chaos können werden (und werden bereits) die Zentren der postglobalen Kristallisation der Macht und des Reichtums, die nicht im globalen Maßstab sind, und zur selben Zeit territorial und demographisch den vergehenden Nationalstaaten überlegen sind.

Albertina - Königsberg

Scheinbar sieht dies wie der Zusammenbruch des globalen Systems der Blöcke aus, die an die imperiale Bildung erinnert. Beobachter sprachen sogar über eine Wiedergeburt der Imperien – des Deutschen, Osmanischen, Britischen.

Deutschland ist der Kandidat Nummer eins für die Rolle des Begründers eines solchen Imperiums. Im Grunde genommen schreiben darüber sogar schon die Zeitungen. Zum Beispiel, am 17. August 2011, veröffentlichte die Daily Mail einen Artikel „Die Wiedergeburt des Vierten Reiches oder wie Deutschland die Finanzkrise für die Eroberung Europas benutzt“. In dem Artikel wird darüber gesprochen, dass Deutschland die Vereinigten Staaten von Europa erschafft, die ganz und gar nicht demokratisch, sondern das Gegenteil sein werden.

Selbstverständlich, zeigt sich hier teilweise die traditionelle britische Angst vor den Deutschen. Nicht nur teilweise. Im Jahr 1940 bemerkte Churchill, dass die Briten nicht gegen Hitler kämpfen, sondern gegen den Geist Schillers – damit er nie wiedergeboren würde. Es scheint, dass sich einer der wichtigsten Russen- und Deutschfeindlichen des 20. Jahrhunderts irrt: Über den Geist zu reden ist noch schwierig, aber Deutschland ist schon wiedergeboren. Vor allem die Deutschen aus ihrer historischen Ablehnung des Universalismus/Globalismus ob katholisch oder erleuchtet, aus ihrer Erfahrung der hitlerschen Eurounion und des riesigen Kartells „IG Farbenindustrie“, neigen traditionell zur „Ordnung“ und zum Antiliberalismus, gehen in der Avantgarde der Wiedergeburt Europas. Wenigstens ihr zentraler Teil – das reicht völlig für die Begründung eines lebensfähigen antiliberalen imperiumähnlichen Europas. Die Rede muss vor allem über die imperiumähnlichen Gebilde, über die Entstehung von etwas Neuem, aber nicht die Wiedergeburt von etwas Altem sein.

SP“: Sie nehmen an, dass gerade diese Form zu einer Veränderung der Globalisation mit seinen Strukturen führen kann?

Die Zeit der Imperien ist vorbei. Aber die Zeit ihre Nationalstaaten zu ersetzen – auch. Wie auch die Globalisation, die diese Staaten untergruben.

Imperienähnliche Gebilde (IPO – Deutsch wäre das IÄG) – das ist eine nationale Macht, ein Superkonzern und Orden gleichzeitig, das institutionell-hierarchische und Netzprinzip kombinierend. Das sind mehr oder weniger organische übernationale Blöcke mit Bevölkerungen von nicht weniger als 300 bis 350 Millionen Menschen. Äußeres Subjekt der Lenkung der IÄB werden staatliche Bürokratien mit einer wesentlichen Rolle der Militär- und Geheimdienste sein, eine Rolle, die in den Krisenbedingungen wächst und die durch das Finanzkapital eingenommen wurden, das ihnen im Jahr 2008 den Krieg angesagt und zur Unterdrückung – des Typs der Kompromisse oder der Kompromisslosigkeit – verdammt hat.

An der Oberfläche der Formierung der IÄG kann eine Form der rechten nationalistischen (mindestens anti-multikulturellen) politischen Revolution sein. Die IÄG können nur anti-liberal sein (der Grad – das ist eine Frage der konkret-historischen Umstände). Aber das bedeutet, mindestens für Europa, unter den Bedingungen der Krise das Erscheinen rechter Parteien neuen Typus. Es scheint, die Geschichte wiederholt sich: aus der Weltkrise 1929 – ging 1933 Deutschland als Drittes Reich hervor, aus der Weltkrise der 2010er Jahre, die schlimmer sein wird als die von 1929, wie schon K. Lagard voraussagt, könnte Deutschland als Fünftes Reich hervorgehen (das Vierte Reich war eine Netzstruktur, gebildet aus ehemaligen Nazis in der zweiten Hälfte der 1940iger bis 1950iger Jahre.)

SP“: Welche Wirkungen kann diese Restrukturierung Europas haben , über die Sie sprechen?

Die Entstehung des IÄG „Europa“ mit deutschem Kern löst die einen Probleme und begründet andere – wie für die Nachbarn, so auch für Russland. Wir haben aus diesem Grund kaum Anlass zum Jubel. Den Revanchismus als historische Erscheinung hat niemand verändert. Einzig in der kurzfristigen, aber möglicherweise auch in der mittelfristigen Perspektive ist der Aufstieg Deutschlands ein positiver Faktor für Russland. In jedem Fall müssen wir unseren IÄG errichten, wie er auch immer heißen möge: historisches Russland oder Eurasische Union – das ist unsere einzige, wenn auch bei weitem nicht problemlose Chance.

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Die Logik des europäischen Gleichgewichts fordert die Bildung eine Kontrabalance zu Deutschland, das könnte die anglo-französische Union werden, weniger wahrscheinlich eine franko-russische (wegen der Verbindung Deutschlands mit der Russischen Föderation), und noch weniger möglich eine anglo-französiche-russische – wegen der traditionellen historischen Konfrontation der Briten und Russen in Eurasien, im Besonderen im Kaukasus und in Zentralasien. Aber insofern sich diese Regionen heute im Großen Spiel-2 entfalten, in dem die britischen und russischen Interessen wieder zusammenstoßen, so wird die Entente-2 kaum möglich sein. Im besten Fall – eine britisch-französische Union im Geiste dessen, was in der nachnapoleonischen Epoche stattfand.

Die Aktivierung der Briten in Eurasien und der Welt fordert die Veränderung der Beziehungen mit dem amerikanischen „Cousin“, aber insbesondere – die ernsthafte Schwächung des Kurses der anglo-amerikanischen Einheit, verkündet in den 1890iger Jahren durch Cecile Rodhes und seit dem aktiv entwickelt. Und die Tendenz zu solcher „Scheidung“ ist vorhanden: im Februar 2005 im Oberhaus (House of Lords) klang der (Auf-)ruf zur „Bostoner Teaparty“, aber umgekehrt. (Die Bostoner Teaparty ist eine historische Episode des Kampfes der nordamerikanischen Kolonie Englands für die Unabhängigkeit. Die Entscheidung der englischen Regierung im Jahr 1773 der Ost-Indischen Gesellschaft das Recht der zollfreien Einfuhr des Tees in die nordamerikanische Kolonie anzubieten, führte zur Unterwanderung der Wirtschaft der Kolonie und verursachte die Empörung der Kolonisten, besonders der Kaufleute, die sich mit dem Verkauf von Schmuggeltee beschäftigten. Im Dezember 1773 drang eine Gruppe der Organisation „Söhne der Freiheit“ in den Ankunftsbereich des Bostoner Hafens ein und warf eine große Menge des Tees der englischen Schiffe ins Meer. Die anschließende Schließung des Bostoner Hafens, das Versammlungsverbot für die Einwohner und die Einquartierung englischer Soldaten in der Stadt verschärfte den Konflikt zwischen der Metropole und der Kolonie noch mehr. – „SP“) Am anderen Ufer des Atlantik ist Obama auch kein großer Anhänger der anglo-amerikanischen Einheit im Geiste Rhodes.

Teil 2 >>>

Original des Interviews mit Andrej Fursow

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