Hilfstruppen gegen Moskau (II)
Mai 18, 2016 1 Kommentar
Die Bemühungen der Bundesrepublik und weiterer westlicher Staaten, insbesondere der USA, die Krimtataren in der Zeit des Kalten Kriegs für außenpolitische Zwecke zu nutzen, mussten von den Bedingungen ausgehen, die die Kollaboration der Tataren mit den NS-Okkupanten von 1941 bis 1944 geschaffen hatte. In Reaktion auf die Kollaboration [1] hatte die sowjetische Regierung die rund 200.000 Krimtataren im Mai 1944 in die zentralasiatischen Regionen der Sowjetunion, vor allem ins heutige Usbekistan, deportieren lassen – unter gräßlichen Bedingungen: Zahlreiche Krimtataren kamen bei der Deportation oder bald danach ums Leben; zuverlässige Angaben über die Opferzahlen liegen dabei nicht vor. Anfang der 1960er Jahre begannen krimtatarische Aktivisten, ein Recht auf Rückkehr auf die Krim für sich einzufordern; damit verbanden sie das Verlangen nach politischer Autonomie. Letzteres wiederum war für die westlichen Mächte interessant. Noch bis in die 1950er Jahre hatten sie zum Beispiel, um Moskau zu schwächen, ukrainische Nationalisten unterstützt, die mit allen Mitteln dafür kämpften, die Ukraine aus der Sowjetunion herauszubrechen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Das Streben der Krimtataren nach Autonomie schien eine Chance zu bieten, nach der Niederschlagung der Unruhen in der Ukraine durch die sowjetischen Behörden einen weiteren Herd der Instabilität im Innern des gegnerischen Staates zu schüren. Appelle an den Westen
Eine herausragende Rolle hat in diesem Zusammenhang Mustafa Dschemiljew gespielt, der bis heute eine der wichtigsten Kontaktpersonen der deutschen Außenpolitik unter den Krimtataren ist. Bereits in den Jahren 1961/62 stand er, damals gerade 18 Jahre alt, als einer der Gründer der „Union der Krimtataren-Jugend“ in erster Reihe des krimtatarischen Autonomiekampfes, den er verschärfte, nachdem seine Minderheit 1967 in Moskau vom Vorwurf der kollektiven NS-Kollaboration freigesprochen worden war. Mitte der 1970er Jahre ist er der westlichen Öffentlichkeit als Mitkämpfer des sowjetischen Regierungsgegners und Friedensnobelpreisträgers (1975) Andrej Sacharow bekannt geworden; damals machten Berichte über seinen Hungerstreik und über weitere krimtatarische Proteste die Runde. So war Dschemiljew 1974 festgenommen worden, weil er vorhatte, US-Präsident Richard Nixon bei dessen damals kurz bevorstehendem Moskau-Besuch öffentlichkeitswirksam eine Petition zur Lage der Krimtataren zu überreichen – als Appell, Druck auf die sowjetische Regierung auszuüben. 1986 wurde er, zum wiederholten Male in Haft geraten, auf Intervention von US-Präsident Ronald Reagan vorzeitig entlassen. Für die Bemühungen des Westens, einerseits Unruhe in der Sowjetunion zu schüren, andererseits Moskau bei Eintreten der zu erwartenden polizeilich-geheimdienstlichen Gegenwehr auf internationaler Bühne der Repression zu beschuldigen, besaßen Personen wie Dschemiljew eine hohe Bedeutung. Kontaktmann des NS-Reichs
Dabei haben die westlichen Staaten stets auch versucht, Exil-Krimtataren für ihre Politik zu nutzen – in der Hoffnung, über sie in die Sowjetunion hineinwirken oder sie zumindest für ihre Propaganda einspannen zu können. Zu den einflussreichsten unter den Exil-Krimtataren gehörte der in der Bundesrepublik ansässige Edige Kirimal. Kirimal, 1911 geboren und auf der Krim aufgewachsen, floh Anfang der 1930er Jahre nach Istanbul, wo er Kontakt zu prominenten krimtatarischen Exilpolitikern aufnahm. Ende 1941 gehörte er zu den zwei Exil-Krimtataren, die vom deutschen Botschafter in der Türkei, Franz von Papen, nach Berlin vermittelt wurden, um dort bei der Planung der Kollaboration auf der Krim behilflich zu sein.[3] Kirimal blieb als zentraler Vermittler zwischen dem NS-Regime und den Krimtataren im Reich, führte dort die „Krimtatarische Leitstelle“ und wurde kurz vor Kriegsende von seinem vielleicht wichtigsten Berliner Kontaktmann, Gerhard von Mende, zum „Präsidenten“ eines „krimtatarischen Nationalkomitees“ ernannt [4]. Von Mende arbeitete im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, zunächst als Leiter des Referats Kaukasien/Turkestan, ab 1943 als Leiter der Führungsgruppe III Fremde Völker; er galt als wohl bedeutendster Stratege einer politischen Nutzung sowjetischer Sprachminderheiten, die er für die NS-Kollaboration zu gewinnen empfahl, um sie als Hilfstruppen für den Kampf gegen Moskau zu verwenden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte von Mende seine Kenntnisse und seine Netzwerke erneut für den Kampf gegen die Sowjetunion zur Verfügung – diesmal der Bonner Regierung und ihren neuen westlichen Verbündeten.[5] Nationale Dekomposition
Zu den Personen, mit denen von Mende dabei weiterhin zusammenarbeitete, gehörte der bisherige NS-Kontaktmann Kirimal. Kirimal suchte sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem als Publizist zu krimtatarischen Themen hervorzutun; seine erste größere Schrift, die er 1952 unter dem Titel „Der nationale Kampf der Krim-Türken“ veröffentlichte, promotete von Mende mit einem Vorwort. In einer werbenden Kurzrezension sinnierte Ende 1952 „Der Spiegel“, Kirimal rühre „mit seinem Buch an die ‚zeitlose‘ Problematik aller Gegner Rußlands: Wie ist diesem Koloß beizukommen? … Soll man den ‚Moskauer Zentralismus‘ anerkennen oder die zentrifugalen nationalistischen Kräfte des russischen Raumes fördern?“ Kirimal neigte offenkundig der zweiten Lösung zu, ganz wie von Mende. „Kirimals Buch ist von Reichs-Ost-Minister Alfred Rosenbergs Berater, Prof. Gerhard von Mende, eingeleitet“, fuhr „Der Spiegel“ fort: „Von Mende war (und ist es offenbar geblieben) ein Anhänger der ’nationalen Dekomposition Rußlands‘, das heißt der Aufteilung des Riesenreichs in eine möglichst große Zahl nationaler Klein-Staaten“.[6] Im Sinne dieser Strategie arbeitete von Mendes Schützling Kirimal seit den 1950er Jahren für den CIA-finanzierten Sender „Radio Free Europe“ in München, bei dem sich diverse weitere „Volksgruppen“-Aktivisten aus von Mendes Netzwerken tummelten, dann für das ebenfalls CIA-finanzierte Münchner „Institut zur Erforschung der UdSSR“ [7], für das er eine Zeitschrift („Dergi“) herausgab. Das antikommunistische Exil, in dessen Kreisen sich Kirimal in München bewegte, umfasste nicht zuletzt ukrainische Faschisten [8] – ein Milieu, mit dem Krimtataren um Dschemiljew jüngst bei der Blockade der Krim erneut kooperierten (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Die Spaltung der Krimtataren
Während Kirimal 1980 starb und den Untergang der Sowjetunion nicht mehr erlebte, konnte Dschemiljew 1989 die offizielle Aufhebung des Rückkehrverbots für die Krimtataren nutzen und sich wieder auf der Halbinsel niederlassen. Auf die damalige Zeit geht eine Spaltung unter den Krimtataren zurück, die bis heute gravierende politische Folgen zeitigt. 1988 gründete einer der bekanntesten Krimtataren-Anführer neben Dschemiljew, Jurij Osmanow, die „Nationale Bewegung der Krimtataren“ (NDKT). Während Osmanow und die NDKT sich mit der Rückkehr auf die Krim zufriedengaben und eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den anderen Bevölkerungsgruppen dort sowie mit den staatlichen Behörden favorisierten, spaltete sich 1989 unter Mustafa Dschemiljew die radikalere „Organisation der krimtatarischen Nationalbewegung“ (OKND) ab.[10] Dschemiljew und die OKND verlangten ausdrücklich völkisch definierte Sonderrechte – eine krimtatarische „Autonomie“ – und beriefen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, 1991 auf der Krim einen „Kurultaj“ ein, eine krimtatarische Nationalversammlung, die den „Medschlis“ wählte, der als krimtatarisches Exekutivorgan firmiert. Während Osmanow und die NDKT – wohl auch wegen des traditionell starken russischen Einflusses auf der Krim – auf gute Beziehungen auch zu Russland nicht verzichten wollten, folgten Dschemiljew und die OKND einem prowestlichen, gegen Moskau gerichteten Kurs. Dschemiljew übernahm 1991 den Vorsitz des Medschlis, Osmanow wurde 1993 unter ungeklärten Umständen ermordet. Keine Mehrheit mehr
War der Medschlis unter den Krimtataren zu Beginn der 1990er Jahre deutlich populärer als die NDKT, so hat sich dies im Laufe der Zeit geändert. Ende 2010 konstatierten die an der Universität Bremen publizierten „Ukraine-Analysen“ einen „sinkende[n] Rückhalt“ des Medschlis bei den Krimtataren. „Neue Akteure“ seien „auf die politische Bühne getreten“, die die „Führungsrolle“ des Medschlis nicht mehr befürworteten, hieß es; der Umstand, dass die Organisation ihre „Monopolstellung verloren“ habe und „nicht mehr die Unterstützung der Mehrheit der Krimtataren“ genieße, werde im Westen „gemeinhin außer Acht gelassen“.[11] Die „Ukraine-Analysen“ wiesen auf die 2006 aus der NDKT heraus gegründete Partei Milli Firka hin, die „von Anfang an … eine pro-russische Position“ verfochten habe – im Gegensatz zum Medschlis, der sich von der Türkei unterstützen lasse und die Kräfte der Orangenen Revolution gefördert habe. Die Polarisierung unter den Krimtataren hat sich im Laufe der Zeit weiter zugespitzt. Im Mai 2013 – also noch vor dem Beginn der Majdan-Proteste – berichtete die US-amerikanische Jamestown Foundation von kräftig wachsenden Spannungen zwischen den beiden Flügeln.[12] Strommasten gesprengt
Diese Spannungen sind mit den Majdan-Protesten und der anschließenden Abspaltung der Krim eskaliert. Milli Firka stellte sich gegen die Majdan-Proteste, warb für die Beteiligung am Sezessionsreferendum und befürwortete die Angliederung der Halbinsel an Russland. Der Medschlis unterstützte den Majdan und rief zum Boykott des Referendums auf; Dschemiljew forderte sogar, einen NATO-Einsatz auf der Krim in Betracht zu ziehen.[13] Dschemiljew und der Medschlis kämpfen weiterhin für die Rückgabe der Krim an die Ukraine. Dabei schrecken sie auch vor Gewalt nicht zurück: Im Herbst initiierten Aktivisten aus ihren Reihen gemeinsam mit ukrainischen Faschisten eine Blockade der Krim, in deren Verlauf sie Straßen für den Warentransport sperrten und mit der Sprengung von Strommasten die Stromversorgung auf der Krim lahmlegten; damit fügten sie der Bevölkerung der Krim gravierende Schäden zu (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Während die russischen Behörden den Medschlis am 18. April als terroristische Organisation einstuften und ihn deshalb am 26. April verboten, hat die Vereinigung angekündigt, Vertretungsbüros in Washington, „vor allem“ aber in Brüssel eröffnen zu wollen [15] – ein deutlicher Hinweis auf ihre Bereitschaft, sich dem Westen noch stärker als bisher als Hilfstrupp gegen Russland andienen zu wollen. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.